
Laut dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ist ein Mindestlohn von 15 Euro bis zum Jahr 2026 „erreichbar“. Was das bedeutet, darüber gibt es Streit. Die Mindestlohnkommission pocht auf ihre Unabhängigkeit, Experten kritisieren die Debatte.
Frankfurt a.M. (epd). Noch bevor sich die schwarz-rote Regierung gebildet hat, geht sie in einen ersten Schlagabtausch. Thema ist der Mindestlohn. Dessen Höhe von 15 Euro pro Stunde sei bis zum Jahr 2026 „erreichbar“, heißt es im Koalitionsvertrag. CDU-Chef Friedrich Merz hatte in der „Bild am Sonntag“ jedoch darauf hingewiesen, dass es dafür „keinen gesetzlichen Automatismus“ gebe.
SPD-Politiker hatten sich daraufhin für die Anhebung starkgemacht. Parteichef Lars Klingbeil sagte im „Bericht aus Berlin“ der ARD: „Wenn die Mindestlohnkommission sich an all die Kriterien hält, die mittlerweile auch in der Geschäftsordnung drinnen sind, dann erreichen wir 2026 die 15 Euro.“ Generalsekretär Matthias Miersch nannte die Mindestlohn-Erhöhung als im Koalitionsvertrag „gesetzt“. Der geschäftsführende Arbeitsminister Hubertus Heil sagte im ZDF-„Morgenmagazin“: „Für den Mindestlohn haben wir besprochen, dass wir die 15 Euro erreichen wollen im Jahre 2026, und das machen wir, indem die Mindestlohnkommission sich an die eigene Geschäftsordnung hält.“
Wortmeldungen von Kommissionsmitgliedern
Schließlich rief die Vorsitzende der Mindestlohnkommission, Christiane Schönefeld, die Unabhängigkeit der Kommission in Erinnerung. Deren Mitglieder „unterliegen bei der Wahrnehmung ihrer Tätigkeit keinen Weisungen“, teilte sie mit. Auch wenn es Kriterien für die Höhe der Lohnuntergrenze gebe, dürfe die Kommission im Rahmen einer Gesamtabwägung davon abweichen.
Der Gewerkschafter Stefan Körzell, der für den DGB-Bundesvorstand in der Mindestlohnkommission sitzt, kritisierte Merz. Die Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro sei „eine Willenserklärung der Bundesregierung, die den Orientierungsrahmen der Mindestlohnkommission beschreibt“, sagte Körzell. Es sei bitter, dass die Mindestlohn-Anhebung schon vor der formellen Bildung der Bundesregierung infrage gestellt werde. „Das richtet sich gegen sechs Millionen Menschen, die Mindestlohn beziehen“, sagte er. „Die haben das bitter nötig wegen der steigenden Preise.“
Experte sieht Kommission unter Druck
Hagen Lesch, Tarifexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, sieht bereits in der Thematisierung der Lohnuntergrenze im Koalitionsvertrag ein gewisses Problem. „Es stehen eine Zahl im Raum und ein Zeitplan“, sagte Lesch dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Das bedeutet, dass die angeblich unabhängige Kommission unter Druck gesetzt wird.“
Problematisch ist laut Lesch zudem, dass die politische Debatte die Tarifautonomie beschädige. Ein zu hoher Mindestlohn könne viele Tarifverträge aushebeln, in denen Löhne unterhalb der Untergrenze stehen. „Dann würden wir Gefahr laufen, dass in manchen Branchen gar keine Tarifverträge mehr geschlossen werden“, sagt der Volkswirtschaftler. „Auch die Gewerkschaften sollten deshalb ein Interesse daran haben, dass die Kommission unabhängig bleibt.“
Nach Leschs Verständnis legt der Koalitionsvertrag keineswegs einen künftigen Mindestlohn fest. Nehme man 60 Prozent des Medianlohns als Maßstab, komme man tatsächlich in die Nähe der 15 Euro, erklärt er. Berücksichtige man hingegen die Entwicklung der Tariflöhne, lande man eher bei 14 Euro. „Das ist ein Korridor“, sagt Lesch, in dem die Kommission sich bewegen dürfe.
Die Kommission empfiehlt allerdings lediglich eine Mindestlohnhöhe, festgelegt wird sie anschließend von der Politik. Lesch kritisiert die Unsicherheit, die nun durch die Debatte entstanden sei: „Es fehlt ein klares Bekenntnis, dass man nicht eingreift, wenn das Ergebnis nicht passt“, sagt er.
Mindestlohn als politisches Instrument
Mattis Beckmannshagen, Arbeitsmarktexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, weist hingegen darauf hin, dass der Mindestlohn ein politisches Instrument sei, das eine demokratisch legitimierte Regierung auch einsetzen dürfe. „Das hat man beispielsweise schon 2022 gemacht, als der Mindestlohn auf zwölf Euro festgesetzt wurde“, erläutert er.
Allerdings räumt Beckmannshagen im Gespräch mit dem epd ein, dass die gegenwärtige Debatte die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission schon ein Stück weit infrage stelle. Würde eine Bundesregierung eine Empfehlung der Kommission einfach beiseite wischen, wenn sie ihr nicht passe, „dann wäre das sicher ein Affront“, sagt er. Diese Empfehlung einfach übernehmen müsse die Politik andererseits aber auch nicht: „Es kommt da viel auf die Kommunikation an.“ Zur aktuellen Debatte merkt Beckmannshagen an: „Es wäre sicher die elegantere Art, die Mindestlohnkommission einfach ihre Arbeit machen zu lassen.“