Wenn kranke oder verletzte Migranten sich kaum verständigen können, steht das Gesundheitspersonal vor echten Herausforderungen. Ein Verbändebündnis fordert ein Recht auf Sprachmittlung. Projekte dazu gibt es lokal schon.
Frankfurt a.M. (epd). Manchmal reicht eine einfache Übersetzung von Worten nicht. Nazila Afshar wurde das klar, als sie in einer Arztpraxis im hessischen Vogelsbergkreis saß und für eine Frau dolmetschen musste, die wenig Deutsch sprach. „Die Frau hatte Nierenprobleme“, berichtet Afshar. „Der Arzt hat eine Behandlung vorgeschlagen, aber hat dabei so viele Fachwörter benutzt, dass ich erst nachfragen musste, was sie bedeuten.“ Dann erst habe sie der Klientin nicht nur übersetzen können, sondern auch erklären.
Afshar übersetzt regelmäßig für das Projekt „Sprachmittler“ des Vogelsbergkreises aus dem Deutschen ins Persische und umgekehrt. Bei dem Projekt werden geschulte Dolmetscherinnen und Dolmetscher eingesetzt. Nicht nur, aber auch im Gesundheitswesen.
Mit dem sprachlichen Verstehen kann es schnell vorbei sein
Laut Zuwanderungsgesetz stehen Neuankömmlingen 600 Stunden Sprachkurs und 100 Stunden Orientierungskurs zu. Danach können sich die meisten Migranten im Alltag zurechtfinden, etwa beim Einkaufen im Supermarkt. Aber mit dem sprachlichen Verstehen kann es schnell vorbei sein, wenn sie im Klinikflur stehen, eine Entscheidung treffen müssen, und ein Arzt erzählt ihnen etwas von „Niereninsuffizienz“ und „Dialyse“.
Eine Untersuchung der Universität Hamburg aus dem Jahr 2017 beispielsweise geht von fünf Prozent an Patientinnen und Patienten in Berlin aus, mit denen keine oder kaum Verständigung möglich ist. Schätzungsweise 34.000 Behandlungen und Operationen werden demzufolge in der Hauptstadt jährlich vorgenommen, ohne über die Eingriffe ausreichend aufgeklärt worden zu sein und ihnen informiert zustimmen zu können, so wie das eigentlich gefordert ist.
Häufig Behelfslösungen
Oft behelfen sich migrantische Patienten und Mitarbeiter im Gesundheitswesen mit dem, was gerade verfügbar ist. Mitunter spricht eine Ärztin oder eine Pflegerin die Sprache des Patienten. Oder dessen Angehörige sind des Deutschen so mächtig, dass es auch für medizinische Fachbegriffe reicht. Häufig sind es die Kinder, die beim Spracherwerb deutlich schneller vorankommen als ihre Eltern und die dann dolmetschen.
Aber das ist mit anderen Problemen verbunden, Rollenkonflikte zum Beispiel. Die Kinder sind ja nun mal Söhne und Töchter ihrer Eltern, die sich vielleicht um sie sorgen, eigene Auffassungen über die Gründe ihrer Erkrankungen oder Verletzungen haben und daher anders übersetzen, als das ein neutraler Dolmetscher tun würde. Und natürlich kennen auch sie oft nicht die medizinischen Fachbegriffe, was zu Missverständnissen führen kann.
Neben Rollenkonflikten kann es auch Beziehungskonflikte geben. Eltern mit geringer Sprachkompetenz büßen unter Umständen Autorität ein, wenn sie auf die Sprachkenntnisse ihrer Kinder so existenziell angewiesen sind. Das kann traditionelle Familienstrukturen auf den Kopf stellen und für Unfrieden sorgen.
Profis erzielen bessere Ergebnisse
Professionelle Dolmetscherinnen und Dolmetscher sind aus diesen Gründen den Behelfslösungen in der Regel überlegen. Sie können medizinische Fachbegriffe erklären, und sie haben keine separaten Interessen dabei. Viele Kliniken bieten auch bereits heute schon muttersprachliche Leistungen in Medizin und Pflege an. Aber einen Rechtsanspruch auf eine professionelle Übersetzung gibt es im Gesundheitswesen nicht.
Das will ein „Bündnis für Sprachmittlung“ ändern, in dem auch die Diakonie Deutschland engagiert ist. Vor rund einem Jahr veröffentlichte das Bündnis ein Forderungspapier hierzu. Maike Grube von der Diakonie Deutschland sagt: „In der Schweiz sieht man beispielsweise, dass mit den 20 häufigsten Sprachen mehr als 90 Prozent aller Sprachmittlungseinsätze abgedeckt werden können.“
Auch Asylsuchende sollen Anspruch haben
Das Papier fordert unter anderem, einen Rechtsanspruch auf Sprachmittlung im Sozialgesetzbuch V zu verankern für alle Gesundheitsleistungen, die im Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung stehen. Zudem sollten auch Asylsuchende nach Asylbewerberleistungsgesetz diesen Anspruch haben.
Für das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz hatten SPD und Grüne im November einen Änderungsantrag eingebracht. Darin ist auch eine Sprachmittlung vorgesehen, allerdings nicht als Rechtsanspruch.
Nicht immer können Dolmetscher vor Ort sein. Digitale Lösungen für Übersetzungen hat das Verbändebündnis deshalb mitbedacht. Nach den Worten Grubes sind das Zuschaltungen von Dolmetschern per Videokonferenz oder Telefon einerseits und maschinelle Übersetzungen durch eine Künstliche Intelligenz (KI) andererseits. „Hier werden Video und Telefon zentral sein“, prognostiziert die Expertin. Die KI werde zwar zusehends besser: „Aber im Gesundheitswesen geht es um sensible Kommunikation oder darum, Informationen in einen Kontext einzubetten und auch nonverbale Signale zu deuten. Das sind Dinge, bei denen die KI momentan noch nicht einsatzfähig ist.“
Sprachmittlung könnte Geld sparen
Schätzungen, wie viel eine flächendeckende Sprachmittlung kosten würde, gehen weit auseinander. Sie hängen davon ab, mit wie vielen Einsätzen von Dolmetschern pro Jahr man rechnet und wie hoch man deren Honorar ansetzt. Zwischen 12,5 und 255 Millionen Euro könnte das alles pro Jahr kosten.
Grube weist aber darauf hin, dass auf der Gegenseite Einsparungen stünden. Vermiedene Doppeluntersuchungen und -behandlungen würden voraussichtlich zu besseren Krankheitsverläufen führen und auf lange Sicht sogar Geld sparen. Studien aus den USA, der Schweiz und Großbritannien sehen durch die Sprachmittlung langfristig sinkende Gesundheitskosten.