
Ukrainerinnen und Ukrainer stemmen in Frankfurt am Main ehrenamtlich die Betreuung von Kindern sowie die Pflege von Sprache und Kultur. Manchmal müssen sie damit umgehen, dass die Papas der Kinder nie mehr nach Hause kommen.
Frankfurt a.M. (epd). Emilia hat Geburtstag, sie wird vier Jahre alt. Kinder und Erzieherinnen sitzen um einen Tisch mit Brot, Käse, Obst und Marmelade, und singen „Zum Geburtstag viel Glück“. Auf Deutsch. Ansonsten hört man im Souterrain der katholischen Kirchengemeinde St. Bonifatius im Frankfurter Stadtteil Bonames viel Ukrainisch. Denn hier betreibt der Ukrainische Verein Frankfurt am Main eine provisorische Kinderbetreuung.
In diese Betreuung kommen Kinder, die noch keinen Betreuungsplatz haben. „Am Anfang dachten wir, das ist nur für ein paar Monate“, erinnert sich Roksolana Rakhletska. Sie ist im Vorstand des Ukrainischen Vereins und lebt schon seit 15 Jahren in Deutschland. Nun dauere dieses anfängliche Provisorium schon fast drei Jahre. Neben der Kinderbetreuung in der Gemeinde St. Bonifatius ist der Verein auch Träger zweier Kitas und einer Samstagsschule, die bereits seit 20 Jahren besteht.
Die Väter fehlen
Nicht immer geht es so fröhlich zu wie bei Emilias Geburtstag. Rakhletska zeigt eine Kinderzeichnung. Schwarz ist die einzige Farbe auf dem Bild. Es zeigt ein Haus, rechts darüber einen tiefschwarzen Kreis. „Eine Bombe“, erläutert Rakhletska. Nachdem der siebenjährige Andrii mit seinem Bild fertig war, hätten sie den Tisch reinigen müssen: „Er hat so stark gemalt, dass die Farbe durchs Papier ging.“
Russlands Bomben und Projektile zerstören nicht nur Häuser. In den Häusern sterben Zivilisten, Männer fallen an der Front. Rakhletska sagt, auch in die Kindergärten und in die Schule gingen Kinder, deren Papas nie mehr wieder nach Hause kommen. Der Verein arbeite mit zwei Psychologinnen zusammen, die aus der Ukraine stammten und die für solche Fälle ausgebildet seien. Sie bearbeiteten mit den Kindern und mit deren Müttern die Trauer und Verzweiflung.
Das Hauptaugenmerk des Vereins aber gilt der Pflege der ukrainischen Sprache und Kultur. Für dieses Ziel engagieren sich viele aus der ukrainischen Gemeinschaft ehrenamtlich. Beispielsweise Iryna Khudenko, die vor ihrer Flucht aus der Ukraine ein Unternehmen mit 73 Mitarbeitern leitete. Nun betreut sie hier Kinder, ebenso wie Alisa Hniedo, die in Mainz Politikwissenschaft studieren will. Oder wie Andrii Kazmirchuk, der im Brotberuf Sportlehrer an einer Privatschule ist. Für die Kinder, sagt Rakhletska, sei Kazmirchuk als männliche Bezugsperson enorm wichtig: „Ihnen fehlen die Väter.“
Samstags in die Schule
Die älteren Kinder gehen neben dem normalen Unterricht auf die Samstagsschule. Nicht immer mit viel Elan, räumt Olga Shendrya ein. Sie ist Leiterin der beiden Kitas, ihre Tochter besucht die Schule. „Manchmal will sie samstags nicht hin“, berichtet Shendrya. „Aber wenn sie nachmittags wieder kommt, hat es ihr doch immer gefallen.“ Schließlich treffe sie Freundinnen und Freunde dort.
Offensichtlich gefallen hat es auf der Schule auch Evelina Parukh. Sie war 15 Jahre alt, als sie floh. Das deutsche Schulsystem habe sie nicht überzeugt, berichtet sie: „Ich kam in eine Integrationsklasse und war beim Lernen ganz auf mich gestellt.“ Aber in die ukrainische Samstagsschule kommt sie auch heute noch, allerdings nicht mehr als Schülerin. Sie ist Volontärin dort und leitet die Tanz-AG.
Das sei nicht untypisch, sagt Rakhletska: „Viele wollen nach der Schulzeit den Kontakt nicht verlieren und fragen, ob sie bei uns anfangen können.“ Rakhletska ist neben ihrem Vorstandsamt im Verein auch Leiterin der Schule und Lehrerin für Ethnografie.
Ungewisse Zukunft
Bei Beginn des russischen Überfalls 2022 waren es rund 100 Kinder, kurz danach hatte sich deren Zahl mehr als verdreifacht. Mittlerweile besuchen rund 550 kleine Ukrainerinnen und Ukrainer die beiden Kindergärten und die Schule des Vereins.
Wie ihre Zukunft aussieht, können die meisten Ehrenamtlichen nicht genau sagen. Viel hänge davon ab, wann und wie der Krieg endet, sagen sie. Aber eine Sache sei dabei wichtig, sagt Kitaleiterin Shendrya: „Etwas zu tun. Nicht nur zu warten, was die Zukunft vielleicht bringt.“