Der Direktor des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Bernd Fitzenberger, hält wenig davon, Bezieherinnen und Bezieher des Bürgergeldes zur Arbeit zu zwingen. Eine Arbeitspflicht hätte „gravierende Nachteile“ und verursache hohe Kosten.
Nürnberg (epd). Die öffentliche Debatte über eine Arbeitspflicht für Bürgergeldbezieher betrachtet der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Bernd Fitzenberger, mit Skepsis. Es sei „bürokratisch und finanziell sehr aufwändig, jeweils gut passende Pflichtbeschäftigungen bereitzustellen“, gibt er im Interview mit epd sozial zu bedenken. Außerdem bestehe das Risiko, dass eine Arbeitspflicht reguläre, oft produktivere Beschäftigung verdrängt. Die Fragen stellte Markus Jantzer.
epd sozial: Etwa 5,5 Millionen Menschen erhalten in Deutschland Bürgergeld. Wie groß ist der Anteil der Bezieher, die Jobs, Ausbildungen oder Maßnahmen kategorisch verweigern und durch Strafmaßnahmen zum Arbeiten gebracht werden?
Bernd Fitzenberger: Bei dieser Frage muss man zunächst die Zahlen einordnen. Von den 5,5 Millionen Menschen im Bürgergeld sind etwa vier Millionen grundsätzlich erwerbsfähig. Von den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten sind 1,8 Millionen arbeitslos, das heißt, sie stehen dem Arbeitsmarkt direkt zur Verfügung. 2,2 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte sind nicht arbeitslos. Gründe sind etwa die Erziehung von Kindern, die Pflege von Angehörigen, eine schulische, berufliche oder universitäre Aus- beziehungsweise Weiterbildung oder eine Erkrankung.
epd: *Welche Effekte könnte eine Arbeitspflicht für die Betroffenen selbst und auch auf dem Arbeitsmarkt entfalten?
Fitzenberger: Auf der positiven Seite ist festzuhalten, dass die Betroffenen Beschäftigungserfahrungen sammeln können. Zweitens würde es durch eine Arbeitspflicht attraktiver, einen Job anzunehmen, der ein höheres Einkommen als beim Verbleib im Bürgergeld bringt, weil man sowieso arbeiten muss. Und drittens reduziert sich für Menschen im Bürgergeld die Möglichkeit der Schwarzarbeit.
epd: Und was sind die Nachteile einer Arbeitspflicht?
Fitzenberger: Erstens ist es bürokratisch und finanziell sehr aufwändig, eine jeweils gut passende Pflichtbeschäftigung bereitzustellen, weil sich die Qualifikationen und die persönlichen Lebensumstände der Menschen im Bürgergeld stark unterscheiden. Zweitens wirkt sich eine Arbeitspflicht negativ auf die Arbeitsmotivation aus, weil Menschen in Jobs tätig sein müssen, die sie sich nicht selbst ausgesucht haben. Die meist einfachen Tätigkeitsanforderungen passen oft nicht gut zu ihren Qualifikationen. Und der Job bietet auch kaum passende Entwicklungsmöglichkeiten. Drittens besteht das Risiko, dass eine Arbeitspflicht reguläre, oft produktivere Beschäftigung verdrängt. Doch es ist festzuhalten, dass keine belastbaren Erkenntnisse vorliegen, wie sich eine umfassende Arbeitspflicht auswirken würde.
epd: Kein privater Arbeitgeber kann zur Einstellung einer bestimmten Person gezwungen werden. Bleibt als Arbeitgeber eines Menschen, der per Behördenanweisung zur Erwerbsarbeit gezwungen wird, nur die öffentliche Hand?
Fitzenberger: Private Arbeitgeber müssten sicherlich im Regelfall finanziell unterstützt werden, um eine Person einzustellen, die sie sonst nicht eingestellt hätten. Das könnte im Einzelfall funktionieren, wenn der Arbeitskräftemangel hoch ist und die Tätigkeitsanforderungen bewältigbar sind. Sicherlich müsste jedoch für eine Arbeitspflicht die überwiegende Mehrheit der Jobs vom Staat organisiert werden, was mit einem großen Aufwand verbunden ist. Ob der Staat dann in der Pflicht ist, den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen, kann ich nicht beurteilen. Wenn sich der Staat dafür entscheidet, besteht das Risiko, dass ein großer öffentlich finanzierter Beschäftigungssektor auf Dauer organisiert werden muss und der Anreiz reduziert ist, dass Menschen im Bürgergeld einen regulären Job annehmen.
epd: Was halten Sie von einer Wiederbelebung der Ein-Euro-Jobs, also der Verpflichtung von Langzeitarbeitslosen, eine gemeinnützige Tätigkeit für einen Stundenlohn von einem Euro zu verrichten?
Fitzenberger: Diese Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung gibt es noch, wenn eine unmittelbare Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht möglich ist. 2023 starteten 112.000 Personen eine solche Arbeitsgelegenheit und es fielen zusätzliche Ausgaben der Jobcenter in Höhe von 656,8 Euro pro Fördermonat und Person an. Arbeitsgelegenheiten müssen zusätzlich sowie im öffentlichen Interesse sein, und seit 2012 müssen sie auch wettbewerbsneutral sein, sprich es sollen keine regulären Arbeitsplätze verdrängt werden. Längerfristig ist die Nutzung der Arbeitsgelegenheiten stark zurückgegangen, steigt aber jüngst wieder an. Die Wirkung auf die Erwerbsintegration ist nicht eindeutig. Für jüngere Menschen und für Kurzzeiterwerbslose sind der Arbeitsgelegenheiten nicht empfehlenswert.
epd: Wie hoch ist der bürokratische Aufwand, der mit einer Arbeitspflicht verbunden ist? In welchem Verhältnis steht er zu den möglicherweise erzielten Spareffekten beim Bürgergeld?
Fitzenberger: Ich kann keine konkreten Zahlen zur finanziellen Mehrbelastung nennen, aber eine Arbeitspflicht würde einen hohen bürokratischen Aufwand auslösen. Die Kosten der Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung und deren teilweise negativen Wirkungen auf die Erwerbsintegration lassen erwarten, dass sich eine Arbeitspflicht nicht rechnet. Wenn eine Arbeitspflicht in Erwägung gezogen wird, dann müsste sie auf eng definierte Zielgruppen und ökonomisch passende Beschäftigungsfelder mit hohem Arbeitskräftemangel beschränkt werden.
epd: Hält die Bevölkerung eine Arbeitspflicht für Bezieherinnen und Bezieher des Bürgergeldes für sozial gerecht?
Fitzenberger: Dazu liegen mir keine belastbaren Zahlen vor. Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Debatte kann vermutet werden, dass ein großer Teil der Bevölkerung abstrakt eine Arbeitspflicht für Menschen im Bürgergeld befürwortet. Wenn man jedoch die konkreten Herausforderungen der Umsetzung einer Arbeitspflicht anhand von Fallbeispielen beschreibt und die damit verbundenen Kosten und Nachteile aufzeigt, dann dürfte die Zustimmung für eine Arbeitspflicht sinken.