Wie viel Kontrolle brauchen Seniorenheime?
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Im Alexander-Stift in Allmersbach

Weniger Kontrolle, mehr Vertrauen: So lautet das Motto von Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne). Sein Ministerium will in Pflegeheimen Bürokratie abbauen, Qualitätskontrollen kürzen und verpflichtende Heimbeiräte streichen. Nicht allen im Südwesten gefällt das.

Stuttgart, Heidelberg (epd). Die Pläne des baden-württembergischen Sozialministeriums zum Bürokratieabbau in Pflegeheimen stoßen auf scharfe Kritik. „Die Abschaffung der Landesheimmitwirkungsverordnung wäre ein Schritt nach hinten“, sagte Claudia Stockert aus Heidelberg, Vorstandsmitglied des Bonner BIVA-Pflegeschutzbunds, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der baden-württembergische Landesseniorenrat wiederum sprach laut Ärztezeitung von einem „sozialpolitischen Dammbruch“.

Die Verordnung stammt aus den 1970er Jahren und bildet die Rechtsgrundlage für die Mitwirkung von Heimbewohnern. Ziel ist es, deren Selbstständigkeit und die Selbstbestimmung sowie die Mitwirkung bei Entscheidungen, die sie betreffen, zu sichern. Die Rechte der teilweise betagten Bewohner können laut Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz an Interessenvertreter abgetreten werden.

Vermittler zwischen Heimleitung und Bewohnern

Die Beiräte treten als Vermittler zwischen Heimbewohnern und Heimleitung auf. Sie bilden zudem eine weitere Kontrollinstanz neben der Heimaufsicht durch die Stadt- und Landkreise. So müssen Heimbeiräte über Veranstaltungen, Kostensteigerungen oder die Übernahme von Heimen informiert werden; zugleich tragen sie als Sprachrohr der Bewohnerinnen und Bewohner deren Erwartungen und Bedürfnisse an die Heimleitungen heran.

„Ich frage mich, wie die Mitwirkung erhalten werden kann, wenn diese Verordnung ersatzlos gestrichen wird“, sagte Stockert. Sie befürchte, dass die Selbstbestimmungsrechte der Bewohner stark eingeschränkt würden. Die Sozialwissenschaftlerin sieht das mit großer Sorge: „Die Menschen bezahlen teilweise 3.000 bis 3.500 Euro im Monat Eigenanteil und werden quasi entmündigt.“

Kritik auch an eingeschränkten Qualitätskontrollen

Auch die geplante Einschränkung von Qualitätskontrollen stößt auf Kritik. Laut dem Entwurf des Ministeriums soll künftig alle fünf Jahre statt wie bisher einmal jährlich routinemäßig kontrolliert werden. Ambulant betreute Wohngruppen sollen danach ganz von Kontrollen ausgenommen sein. Alle fünf Jahre eine Kontrolle sei „sehr, sehr wenig“, gibt Stockert zu bedenken. Schließlich gehe es in den Heimen um selbstbestimmtes Leben und um ein Sterben in Würde. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels bräuchte es in Zukunft eher „mehr als weniger Kontrolle.“ Eine Umfrage des BIVA-Pflegeschutzbundes unter den rund 1.500 Pflegeheimen in Baden-Württemberg ergab, dass 97 Prozent der Befragten die Mitwirkung beibehalten möchten.

Das Ministerium legt Wert darauf, dass es sich um ein sehr frühes Verfahrensstadium zur Änderung des Wohn-, Teilhabe und Pflegegesetzes (WTPG) handelt. Ziel sei es, „die bisherigen Regelungen zu entbürokratisieren und zu flexibilisieren“, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. „Die Heimaufsichtsbehörden sollen nach dem derzeitigen Sachstand von reinen Routinekontrollen entlastet werden, um ihre Kapazitäten zielgerichtet in Einrichtungen einzusetzen, die Probleme oder Qualitätsmängel aufweisen und einer engen Begleitung durch die Heimaufsichtsbehörde bedürfen“, heißt es.

Ministerium will Heimaufsicht stärken

Angedacht sei zudem, „den Beratungsauftrag der Heimaufsicht“ zu stärken und so den Schutz der Bewohner sicherzustellen. Dem Ministerium zufolge werde es zunehmend schwieriger, Personen zu finden, die sich in einen Heimbeirat wählen lassen. Auf dem Prüfstand stehe daher „die alte und bürokratische Landesheimmitwirkungsverordnung mit ihren sehr kleinteiligen Anforderungen.“ Die Mitwirkung und Mitgestaltung der Bewohnerinnen und Bewohner werde jedoch auch im geänderten WTPG „gefördert und unterstützt.“

Unterstützung für die Änderungen kommt indes von der Evangelischen Heimstiftung, die in Baden-Württemberg mehr als 90 stationäre Pflegeheime betreibt. „Die Mission von Minister Lucha in der Entlastungsallianz kann ich nur unterstützen“, teilte Hauptgeschäftsführer Bernhard Schneider dem epd in einer schriftlichen Stellungnahme mit. „Die Pflegeheime und die Pflegedienste sind im Würgegriff der Bürokratie.“

Heimstiftung stützt Anliegen des Ministers

Die Befürchtungen einzelner Interessenverbände, der Schutz der Heimbewohner könnte leiden, seien seiner Überzeugung nach unbegründet. Jede Pflegeeinrichtung habe ein eigenes, sehr hohes Interesse, eine bestmögliche Pflege und Betreuung sicherzustellen. Kontrollen der Heimaufsicht und des Medizinischen Dienstes werde es weiterhin geben.

„Mutig und ohne Vorbehalte unterstützungswürdig finde ich den Vorstoß von Herrn Lucha, die strikten Regelungen der Landesheimbauverordnung zu lockern“, so Schneider. Damit könnten Pflegeplätze wieder billiger und flexibler angeboten werden.

Susanne Lohse