Wenn Behalten zum Zwang wird
s:14:"Messie-Wohnung";
Messie-Wohnung

Messies seien faul und undiszipliniert, so lauten gängige Vorurteile. Doch hinter dem zwanghaften Anhäufen von Dingen steckt oft viel mehr. Eine Betroffene berichtet über Ursachen und wo sie Hilfe fand.

Leonberg (epd). Katharina Dechert (Name geändert) kann sich noch an den Moment erinnern, in dem sie gemerkt hat, dass ihr Umgang mit Dingen anders ist als bei anderen. „Vor vielen Jahren haben meine Schwester und mein Schwager bei mir aufgeräumt“sagt die 64-Jährige, die in einer 55 Quadratmeter großen Dreizimmerwohnung in einem Ortsteil von Leonberg lebt. „Sie haben rückgemeldet, dass nach sechs bis acht Wochen die Unordnung wieder dieselbe war.“

Lange habe sie sich nicht eingestehen können, dass sie „eigentlich krank“ sei, berichtet Dechert: „Ich habe es verdrängt. In der Zeit vor Corona war ich sehr viel unterwegs, damit ich die Unordnung zu Hause nicht aushalten muss.“ Dechert, die viele Jahre als OP-Pflegerin gearbeitet hat und heute Rentnerin ist, leidet an zwanghaftem Horten, besser bekannt als Messie-Syndrom. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, da das Messie-Syndrom immer noch schambehaftet sei.

Verschlechterung während Corona

Besonders von „Dingen, bei denen ich mir denke, dass ich sie noch brauchen kann“, könne sie sich schwer trennen. „Oder von alten Erinnerungsstücken wie meinem grünen, selbstgestrickten Teddybären. Die Erinnerung macht mich aus.“ Auch Täschchen von alten Zuckermessgeräten behält sie. „Das ist völlig unlogisch. Ich bekomme es aber nicht hin.“

Die Corona-Zeit habe ihre Situation verschlechtert. „Ich habe ausschließlich im Homeoffice gearbeitet, in der medizinischen Dokumentation. Ich hatte große Angst, mich mit dem Coronavirus anzustecken, habe mich daher total zurückgezogen und hatte keinen persönlichen Kontakt mehr zu meinen Kollegen.“ In dieser Zeit habe sie vermehrt Dinge im Internet bestellt. „Überall waren Kartons. Viele Dinge standen im Weg, die Küche war voll. Ich hatte auf dem Herd lediglich zwei Kochfelder frei. So konnte ich nicht mehr richtig kochen und essen“, erinnert sich Dechert.

Der einzige Raum, der noch halbwegs begehbar war, war das Schlafzimmer. Zudem hatte sie einen Raum, den sie das „Chaoszimmer“ nennt. Hier lagert sie seit vielen Jahren Gegenstände: Fotos, Nähmaschinen, Stoffe, Akten, Malsachen, Ordner.

Zuerst kommt der Müll weg

Über einen Zeitungsartikel erfuhr sie von Fortis. Der Verein bietet verschiedene Leistungen für Menschen, die straffällig waren, wohnungslos sind, psychisch erkrankt sind oder eine Abhängigkeitserkrankung haben - darunter auch eine sozialpädagogische Räumungshilfe. „Dann habe ich Kontakt zu Fortis aufgenommen. Wir haben uns erst im Büro getroffen, wo mir die Arbeitsweise der Räumungshilfe vorgestellt wurde. Schon in dem Artikel war für mich klar, dass das auch für mich eine gute Hilfe sein kann, mich gut unterstützen könnte“, sagt Dechert rückblickend. Die Fortis-Mitarbeiter und auch den Sachbearbeiter der Stadt für die Antragsstellung in die Wohnung zu lassen, habe viel Mut erfordert.

Joachim Schönstein, Teamleiter von Fortis, erklärt: „Im ersten Schritt räumen wir gemeinsam Dinge weg, von welchen sich Betroffene leichter trennen können, wie beispielsweise Verpackungen, Müll und beschädigte Dinge.“ Vorrangig sollen Küche, Bad und WC wieder nutzbar gemacht werden.

Der Verein unterstützt bei Reinigungsarbeiten, hilft bei der Müllentsorgung und dem Etablieren eines neuen Ordnungssystems. „In motivierenden Gesprächen unterstützen wir dabei, das Sammelverhalten zu reflektieren und Strategien für Veränderungen zu finden“, sagt Schönstein. Ein respektvoller, wertschätzender Umgang sei dabei wichtig: „Wir erarbeiten gemeinsam die Veränderungen.“ Das Tempo gebe der jeweilige Klient vor und arbeitet im Rahmen der eigenen Möglichkeiten mit.

Monatliche Gesprächsgruppe

Zusätzlich gibt es eine monatlich stattfindende Gesprächsgruppe für Betroffene, die von Fortis-Mitarbeitenden geführt wird. Dechert fühle sich hier sehr gut aufgehoben, sagt sie: „Andere Teilnehmer haben die gleichen Probleme wie ich. Das hat mich sehr erleichtert, zu sehen, dass es anderen auch so geht. Ich weiß nun, dass es sich um eine Krankheit handelt, die nichts mit Faulheit zu tun hat.“

Durch die Gruppentreffen geht es ihr bereits besser, doch Besuch zu empfangen, fällt ihr nach wie vor schwer. „Am Anfang ist da immer große Scham. Man will möglichst keine Besuche mehr zulassen. Früher war kaum Platz für eine weitere Person in der Wohnung. Es musste erst aufwändig Platz gemacht werden, zum Sitzen, aber auch auf dem Tisch für eine Teetasse.“

Auch ihre Geschwister und Eltern hatten wenig Verständnis für ihr Verhalten, berichtet sie: „Ich bekam viele Vorwürfe. Ich musste mir anhören, dass ich faul sei. Das habe ich teilweise für mich als Selbstdefinition übernommen.“ Damals scheiterten alle Unterstützungsversuche der Familie, die stellvertretend für sie aufräumen wollten. „Sie haben gemerkt, dass ich es selbst machen muss, sie höchstens assistieren können.“

Nachhaltigkeit macht es leichter

Das Sammeln und die Unfähigkeit, sich von Dingen zu trennen, beeinflusse immer noch ihren Alltag: „Alles um mich herum, die gesammelten Dinge, sind mir wichtig, zeigen den Verlauf meines Lebens, haben mich begleitet. Das sind Erinnerungen. Diese Dinge haben mich ausgemacht.“

Doch sie habe einen Weg gefunden, sich leichter von Dingen trennen zu können: „Es fällt mir leichter, wenn ich weiß, dass eine weitere Verwendung garantiert ist, zum Beispiel auf dem Wertstoffhof oder im Verschenkhaus.“ Denn dort habe sie erlebt, dass andere Menschen ihre Dinge gebrauchen können.

Stefanie Unbehauen