
Vielen Tafeln fehlen Ehrenamtliche. Zugleich wachsen die Anforderungen in den Lebensmittelausgabenstellen deutlich. Seit 2016 bietet die Tafel-Akademie Kurse an, um die Arbeit zu professionalisieren. Ein Gespräch mit dem Akademieleiter Marco Koppe über Arbeitsschutz, Buchführung, Logistik und den Umgang mit Problemsituationen.
Berlin (epd). Tafeln gibt es hierzulande seit über 30 Jahren. Obwohl es sie eigentlich gar nicht geben müsste, wenn der Staat die soziale Teilhabe absichern würde. So aber versorgen die 970 Tafeln mit 70.000 Ehrenamtlern Bedürftige und leisten dabei Monat für Monat 1,6 Millionen Stunden freiwillige Arbeit. „Die Zahl der armutsbetroffenen Menschen nimmt zu“, sagt Akademieleiter Marco Knoppe, und es fehle an Helferinnen und Helfern: „Ein Drittel der Tafeln arbeitet mit temporären Aufnahmestopps oder Wartelisten, das belastet die Tafel-Aktiven natürlich zusätzlich.“ Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Herr Koppe, die Tafel-Akademie, die Sie leiten, besteht seit März 2015. Und doch ist sie einer breiten Öffentlichkeit nicht bekannt. Stimmt diese Beobachtung?
Marco Koppe: Ja, das hat aber seinen Grund. Wir sind eine hundertprozentige Tochter der Tafel Deutschland, dem Dachverband, dem aktuell 974 Tafeln angehören. Und die Wirkung der Akademie geht gezielt nur nach innen. Die Kursangebote und Fortbildungen sind für die zum größten Teil ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer der Tafeln konzipiert. Wichtig ist, und das kann ich sagen, dass die Seminare für die Tafel-Mitarbeitenden intern sehr wohl bekannt sind und auch gut angenommen werden. Die externe Kommunikation ist Aufgabe des Dachverbands, er macht beispielsweise auf die Situation armutsbetroffener Menschen aufmerksam und appelliert in Richtung Politik.
epd: Wie kam es zur Gründung der Akademie und was waren die Gründe?
Koppe: Unsere Akademie wurde mit etwas Vorlauf 2015 gegründet und hat im Januar 2016 offiziell ihre Arbeit aufgenommen. Doch Bildungsangebote gab es bereits vorher, etwa im Rahmen der Mitgliederversammlung und beim Bundesfreiwilligendienst.
epd: Das reichte dann nicht mehr aus?
Koppe: Nein. Der Bedarf an Fort- und Weiterbildungen nimmt seit Jahren zu, auch weil das Angebot der Tafeln wächst. Und mit ihnen die Zahl der Engagierten. Also entstand die Idee, das Kursangebot zu professionalisieren. Und so haben wir dann die Akademie gegründet, um uns in der Bildung größer und effektiver aufzustellen.
epd: Wie viele Kurse haben Sie im Vorjahr angeboten?
Koppe: Wir hatten im Vorjahr 138 Veranstaltungen mit rund 2.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Viele Kurse werden online angeboten, was die Teilnahme erleichtert - 90 waren es 2024. Die Präsenzveranstaltungen und Inhouse-Schulungen finden überall in Deutschland statt. Wir organisieren das von unserer Geschäftsstelle in Berlin aus.
epd: Was sind die Inhalte der Kurse?
Koppe: Wir richten das Angebot vor allem daran aus, welche gesetzlichen Vorgaben bei der Tafel-Arbeit zwingend zu beachten sind. Und das sind viele, die Vorschriften sind zudem immer komplexer geworden, auf EU-, aber auch auf deutscher Ebene: Arbeitsschutz, Datenschutz, Lebensmittelschutz, Hygieneverordnung. Das sind die Basics, die bei allen Tafeln bekannt sein und eingehalten werden müssen. Da braucht es Handlungssicherheit. Diese Kurse gibt es immer wieder, und sie sind immer gut besucht. Und dann haben wir noch viele andere Themen auf der Agenda, etwa Digitalisierung, Verwaltung und Buchführung, Management und Führung, Logistik, Fundraising, Wertschätzung ehrenamtlicher Arbeit oder zum Umgang mit Problemsituationen.
epd: Die Zahl der Tafeln ist in den zurückliegenden Jahren ständig gewachsen, und doch ist der Bedarf, Menschen mit Lebensmitteln zu unterstützen, noch längst nicht gedeckt. Wie hat sich die Tafel-Arbeit gewandelt und was sind die besonderen Herausforderungen?
Koppe: Die Aufgaben der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sind deutlich komplexer geworden, schon, weil die gesetzlichen Anforderungen steigen. Wir arbeiten ja mit rund 94 Prozent Freiwilligen. Das heißt, dass für die Arbeit vor Ort auch deutlich mehr Expertise nötig ist. Diese zu vermitteln, ist die Kernaufgabe der Tafel-Akademie. Die Zahl der armutsbetroffenen Menschen nimmt zu, ein Drittel arbeitet mit temporären Aufnahmestopps oder Wartelisten, das belastet die Tafel-Aktiven natürlich zusätzlich. Neben oft fehlenden Lebensmittelspenden suchen Tafeln ebenfalls nach helfenden Händen.
epd: Sorgt es nicht auch für Druck, dass der Einzelhandel immer weniger Lebensmittel bereitstellt, weil besser kalkuliert wird?
Koppe: Natürlich ist es mit Blick auf Lebensmittelverschwendung sehr gut, wenn die Margen präziser kalkuliert werden. Das klappt immer besser. Für die Tafeln bedeutet das, aus dieser Quelle weniger Lebensmittel zu bekommen, die dann auch an Armutsbetroffene weitergegeben werden können. Für die Tafeln müssen wir deshalb neue Wege zur Akquise von Lebensmittelspenden finden. Dafür investieren wir zum Beispiel in den Ausbau unserer Logistik, um vermehrt Spenden von Herstellern abnehmen zu können. Dazu braucht es aber noch weitere Logistik- und Verteilzentren, von wo aus die Waren an die Basis gelangen.
epd: Ohne Freiwillige geht nichts in der Tafel-Bewegung. Finden sich denn immer noch genug Engagierte oder wird das Fehlen von Ehrenamtlern auch zum Problem?
Koppe: Wir stellen fest, dass etwa ein Drittel der Tafeln zu wenige Ehrenamtliche hat. Also ist eine Aufgabe, immer wieder Freiwillige für die Tafel-Arbeit zu interessieren. Dass das klappt, zeigen die aktuellen Zahlen. Bundesweit sind über 70.000 Freiwillige für uns aktiv. Sie leisten 1,6 Millionen Stunden unbezahlte Arbeit, und zwar jeden Monat. Mit 67 Prozent sind die meisten von ihnen Seniorinnen und Senioren. In den kommenden Jahren gehen viele Babyboomer in Ruhestand. Viele wollen sich engagieren, und das kann auch für die Tafeln eine Chance sein. Hier müssen wir uns den Gegebenheiten entsprechend anpassen, denn das Ehrenamt verändert sich. Es geht weg vom regelmäßigen, langfristigen und verlässlichen Engagement hin zu flexibleren und punktuellen Einsätzen.
epd: Passiert das schon?
Koppe: Ja. Unser Ziel ist dennoch, möglichst viel Verbindlichkeit in der Ehrenamtsarbeit herzustellen. Wir haben das Projekt „Engagement - Neudenken!“ gestartet, um die Freiwilligengewinnung neu aufzusetzen. Wir nehmen die verschiedenen Generationen sowie ihre Ansprüche und Erwartungen an das Ehrenamt in den Blick. Ziel ist, die Arbeit attraktiv und sinnvoll zu gestalten. Unsere Stärke ist die Vielfalt der Menschen und ihre unterschiedlichen Berufs- und Lebenswege, die sie mitbringen. Ob Berufstätige, im Ruhestand, zu Hause in Care-Arbeit tätig, oder ehemals selbst Kundin oder Kunde der Tafel, alle sollen sich engagieren können. Und wenn jemand etwa in der Buchhaltung oder der Logistik spezielle Kenntnisse braucht, dann bieten wir entsprechende Schulungen an. Es geht trotz der Vielzahl der unterschiedlichen Vorkenntnisse darum, einen einheitlichen Qualitätsstandard sicherzustellen.
epd: Das Leiten einer Tafel ist dann aber noch mal eine ganz andere Sache ...
Koppe: Ja, da braucht es ein hohes Maß an verschiedenen Kompetenzen und Wissensstandards. Aber auch dieses Thema haben wir auf dem Schirm. Wir bieten einen einjährigen Zertifikatskurs für angehende Leitungen an. Das Angebot haben wir 2022 gestartet, und viele der ersten Absolventinnen und Absolventen sind schon in der Leitungsverantwortung. Wir geben das Wissen dazu, dass sie handlungssicher werden und ihre Aufgaben auch bestmöglich ausführen können.
epd: Die Armut wächst in Deutschland, viele Bürgerinnen und Bürger brauchen die Tafeln dringend, um finanziell über die Runden zu kommen. Doch eigentlich wäre es Aufgabe des Staats, diese Hilfen zu gewähren. Wie bewerten Sie dieses inzwischen schon Jahrzehnte alte Spannungsfeld?
Koppe: Die erste Tafel in Deutschland entstand vor 32 Jahren in Berlin. Damals war die geniale wie einfache Idee: Es sollte eine finanzielle Erleichterung im Alltag Armutsbetroffener geschaffen und zudem Lebensmittelverschwendung reduziert werden. Heute sehen wir, dass es für viele Menschen gar nicht mehr ohne die Tafeln geht. Und das darf nicht sein. Denn hier wird die soziale Verantwortung des Staats auf ehrenamtliche Unterstützungen übertragen. Wir sind allerdings kein Teil des sozialstaatlichen Systems. Die Nöte der Menschen müssen von der Politik ernst genommen werden, damit die gesellschaftliche Spaltung nicht größer wird. Zudem benötigt es Maßnahmen wie etwa die Kindergrundsicherung, höhere Mindestlöhne, krisenfeste Renten und mehr Bildungsgerechtigkeit.
epd: Das leitet direkt über zu meiner letzten Frage nach der unmittelbaren Zukunft. Deutschland hat gewählt, eine neue schwarz-rote Koalition soll regieren. Wie optimistisch blicken Sie in die sozialpolitische Zukunft?
Koppe: Zunächst: Wir sind überparteilich. Wir appellieren natürlich, dass die künftige Regierung die Belange armutsbetroffener Menschen verstärkt in den Blick nimmt. Wir sind bereit, uns hier einzubringen und bieten unsere Expertise allen demokratischen Parteien an. Die Themen, die unmittelbar auf die Agenda gehören, habe ich ja eben genannt. Hinzu kommen weitere wichtige Punkte wie bezahlbares Wohnen oder Anerkennung von Care-Arbeit in der Rente. Es gibt genug zu tun, die Erwartungen an die Politik sind hoch. Die Tafeln können nur mit dem unterstützen, was an Spenden vorhanden ist, die Tafel-Akademie kann die Ehrenamtlichen bestmöglich unterstützen - die wirksame Bekämpfung von Armut ist jedoch Aufgabe des Staates.