Kinderwunschbehandlung: "Kosten für Paare werden steigen"
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Stephanie Schlitt

Nicht alle Bundesländer geben Ehepaaren Zuschüsse zur künstlichen Befruchtung. Nordrhein-Westfalen hat zuletzt pro Jahr 6.500 Paare gefördert. Damit ist nun Schluss - weil der Bund das Geld streicht. Im Interview mit epd sozial erläutert Stephanie Schlitt, stellvertretende Bundesvorsitzende von pro familia, welche Folgen das hat.

Frankfurt a.M. (epd). Noch ist der Förderstopp in NRW ein Einzelfall. Doch Stephanie Schlitt befürchtet einen Dominoeffekt. Andere Länder könnten dem Beispiel folgen. Das würde die ohnehin teuren Kinderwunschbehandlungen für weniger betuchte Paare oft unbezahlbar machen. Betroffene müssten dann 50 Prozent der Kosten selbst bezahlen, den Rest tragen die Kassen. „Das ist ein großes Problem und für Paare mit Kinderwunsch und wird sehr schmerzhaft sein“, so die Fachfrau. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Welche Rolle spielen unerfüllte Kinderwünsche in Ihrem Beratungsalltag und welche Alternativen gibt es zur Kinderwunschbehandlung?

Stephanie Schlitt: Wir würden uns wünschen, dass mehr Paare den Weg in die Beratung finden würden, die eine Kinderwunschbehandlung planen oder gerade durchlaufen. Denn ausführlich über das Problem zu sprechen, kann den Betroffenen dabei helfen, mit den seelischen Belastungen umzugehen, die im Laufe einer Kinderwunschbehandlung auftreten können. Oft kommen Paare erst in die Beratung, wenn bei reproduktionsmedizinischen Behandlungen der Erfolg ausbleibt. Dann kann gemeinsam geklärt werden, ob eine Adoption infrage kommt. Die Beratung unterstützt und begleitet Paare dabei, wenn sie sich von dem Wunsch nach einem leiblichen Kind verabschieden und einen neuen Lebensentwurf entwickeln müssen.

epd: Das Land NRW streicht die finanzielle Förderung von Kinderwunschbehandlungen. Ist das noch ein Einzelfall?

Schlitt: Die Förderung von Kinderwunschbehandlungen geht auf eine Initiative des Bundes zurück. Er hatte den Ländern angeboten, sich an Kinderwunschbehandlungen im Land zu beteiligen, wenn das jeweilige Land sich verpflichtet, den gleichen Anteil der Kosten zu übernehmen, zusammen 25 Prozent. Diese Kooperation sind die meisten Bundesländer nach und nach eingegangen, es fehlen nur Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg und Niedersachsen. Nordrhein-Westfalen will sich nun aus der Förderung zurückziehen, weil der Bund gegenüber den Ländern massive Mittelkürzungen für das laufende Jahr und 2025 angekündigt hat. Weil diese Mittelkürzungen alle Länder betreffen, steht zu befürchten, dass die übrigen Bundesländer die Förderung ebenfalls stoppen werden. Das würde bedeuten, dass künftig lediglich der Krankenkassenkassenanteil von 50 Prozent der Kosten von Kinderwunschbehandlungen bezahlt wird, 50 Prozent müssen die Paare dann selbst bezahlen.

epd: NRW schiebt den Schwarzen Peter zum Bund, der habe die Zusage seiner Fördergelder ohne Gespräche zurückgezogen. Im nächsten Jahr soll es noch weniger Geld vom Bund geben. Wie bewerten Sie das?

Schlitt: Natürlich wissen wir alle, dass die Haushaltslage sehr angespannt ist. Dennoch hätten wir uns eine andere Lösung gewünscht. Die Folgen der Einsparungen werden für Paare mit Kinderwunsch sehr schmerzhaft sein. In Deutschland ist fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Bei vielen von ihnen wird künftig die Frage im Raum stehen, ob sie die Kinderwunschbehandlung überhaupt finanzieren können.

epd: Wie hoch sind die Kosten, die sie je künstlicher Befruchtung selbst zu bezahlen haben?

Schlitt: Zunächst einmal: Wer eine bestimmte Altersgrenze überschritten hat und nicht in einer heterosexuellen Beziehung lebt, ist in den meisten Fällen schon jetzt von einer Förderung ausgeschlossen. Die meisten Krankenkassen schließen zudem Unverheiratete aus. Die Kosten für eine Behandlung variieren sehr stark: von rund 900 Euro für eine Insemination über etwa 4.000 Euro für eine künstliche Befruchtung bis hinzu rund 6.000 Euro für die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI). Weil in der Regel mehrere Versuche notwendig sind, übersteigen die Behandlungskosten schnell das Budget der Betroffenen.

epd: Warum müssen oder auch sollten die Bundesländer hier überhaupt Steuergelder aufwenden? Sind diese verschiedenen Formen der Behandlung nicht primär Leistungen der Krankenkassen?

Schlitt: Wir würden uns wünschen, dass alle Menschen den gleichen Zugang zu medizinischem Fortschritt haben, also auch zu reproduktionsmedizinischen Maßnahmen. Dass die Krankenkasse die nur zu 50 Prozent bezahlen und auch nur maximal drei Versuche, erscheint uns willkürlich. Die freiwilligen Leistungen von Bund und Ländern sind ein Versuch, die finanzielle Last für Paare zu reduzieren, um die Benachteiligung von finanziell schwächer gestellten Menschen zu reduzieren. Es gibt keinen Rechtsanspruch auf Unterstützung durch das Land oder den Bund.

epd: NRW hat nach eigenen Angaben jährlich bis zu 6.500 Paare, die ein Kind wollen, unterstützt. Haben Sie Zahlen aus anderen Bundesländern und wenn ja, wie haben die sich in den zurückliegenden Jahren entwickelt? Gibt es bundesweit mehr Behandlungen?

Schlitt: Wir selbst haben keine Zahlen. Brauchbare Aussagen findet man im IVF Register, das 1982 entstanden ist. Hier wird auch die Abhängigkeit von Schwangerschafts- und Geburtenraten vom Alter der Frau betont. (Anmerkung des Interviewers: Laut IVF Register lag die Zahl der Behandlungen 2022 bei 123.332 Zyklen. Haben Frauen in der Altersgruppe von 30 bis 34 Jahren pro Embryotransfer eine Schwangerschaftschance von 39,7 Prozent und eine Geburtenrate von 31,6 Prozent zu erwarten, sinken in der Altersgruppe von 41 bis 44 Jahren die Schwangerschaftsraten pro Embryotransfer auf 16,7 Prozent und die Geburtenrate auf 8,2 Prozent).

epd: Nicht jede Behandlung führt zum gewünschten Erfolg. Haben Sie Daten, wie oft eine solche medizinische Behandlung scheitert und die Paare sich damit abfinden müssen, keine leiblichen Kinder zu haben?

Schlitt: Die Schwangerschaftsraten liegen bei etwa 30 Prozent und die Geburtenraten pro Transfer bei knapp 24 Prozent, die jährliche Statistik gibt darüber Auskunft. Im deutschen IVF-Register sind rund 140 Mitgliedszentren berücksichtigt.

epd: Wie sehen Sie das Fördersystem ganz allgemein, reichen die Unterstützungen vor dem Hintergrund, dass Deutschland ja keine hohe Geburtenrate hat und das langfristig zum Problem werden kann?

Schlitt: Hier geht es nicht um Geburtenraten, sondern um individuelle Lebensgeschichten. Studien zeigen, dass in Deutschland rund jedes sechste Paar vorübergehend von unerfülltem Kinderwunsch oder Unfruchtbarkeit betroffen ist, jedes zehnte Paar bleibt ungewollt kinderlos. Bei dieser hohen Zahl kann davon ausgegangen werden, dass Reproduktionstechniken künftig eine immer größere Rolle dabei spielen werden, Menschen den Kinderwunsch zu erfüllen. Und natürlich ist es dann ein großes Problem, wenn die Paare den Löwenanteil der Behandlungen selbst bestreiten müssen.