![s:37:"Gesundheitskiosk in Hamburg-Billstedt";](/sites/default/files/schwerpunktartikel/S250214114L-1.jpg)
Fast vergessen ist die Idee von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, bundesweit 1.000 Gesundheitskioske zu eröffnen. Die, die es bereits gibt, beweisen für Fachleute, dass eine bessere Gesundheitsversorgung im Quartier möglich ist.
Solingen, Wiesbaden (epd). In Solingen gibt es seit fast 15 Monaten an der Mummstraße das „Wunder von der Wupper“. So nennt die Vorständin der Bergischen Krankenkasse, Sabine Stamm, den dortigen Gesundheitskiosk. Ein Gemeinschaftsprojekt, das bislang in 1.800 Fällen bei gesundheitlichen und sozialen Fragen geholfen hat. Der Kiosk zeige, wie wichtig niedrigschwellige Angebote für eine gerechte Gesundheitsversorgung seien: „Hier gelingt es, Barrieren abzubauen und Menschen dort abzuholen, wo sie wirklich Hilfe brauchen“, so Stamm.
Eigentlich sollten die Gesundheitskioske nach dem Willen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) überall in Deutschland entstehen, 1.000 an der Zahl. Doch dazu kommt es nicht, weil der Plan im Vorjahr aus dem „Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz“ gestrichen wurde. Das führte zu deutlicher Kritik von Sozialverbänden. Wilfried Wesemann, Vorsitzender des Deutschen evangelischen Verbandes für Altenhilfe, rügte, „dass eine große Chance verpasst werde, um eine am Bedarf orientierte Versorgung im Quartier anzubieten“.
Anlaufstellen sollten Regelversorgung ergänzen
Die neuen Anlaufstellen sollten ursprünglich als Teil der Regelversorgung die medizinische Versorgung und die Gesundheitsprävention verbessern. Sie hätten sozial benachteiligten Menschen einen einfachen Zugang zu ärztlicher Versorgung eröffnet. Ärzteverbände waren wenig begeistert. Sie warnten vor einem Aufbau von Parallelstrukturen. Vorhandene Ressourcen seien begrenzt und sollten im ambulanten Bereich eingesetzt werden, hieß es. Die Krankenkassen betonten, es sei zwar richtig, dass die Kioske Daseinsvorsorge betreiben sollten. „Diese darf aber nicht beitrags-, sondern muss steuerfinanziert werden.“
Gesundheitskioske, von denen es die ersten seit 2017 gibt, erfüllen laut Johannes Lauxen eine wichtige Lotsenfunktion, die über das rein Medizinische hinausgeht. Sie vernetzten bestehende Angebote und vermittelten Menschen nicht nur an Arztpraxen und Kliniken, sondern etwa auch in psychosoziale Beratung oder an einen Pflegestützpunkt. „Damit tragen sie zur Prävention und zur Verhinderung schwererer Krankheitsverläufe bei“, sagt Sozialarbeiter Johannes Lauxen von der Bundesarbeitsgemeinschaft Anonyme Behandlungsschein- und Clearingstellen für Menschen ohne Krankenversicherungsschutz (BACK).
AOK Rheinland/Hamburg an sieben Kiosken beteiligt
Wie viele dieser Anlaufstellen es bundesweit gibt, ist unklar, vermutlich sind es einige Dutzend. Sie bestehen auch dank unterschiedlicher Finanzierungsmodelle. So betreibt die AOK Rheinland/Hamburg mit unterschiedlichen Partnern und mit Hilfe der Kommunen neben dem Solinger Kiosk sechs weitere in Hamburg, Essen, Aachen und Köln.
Betreiber in Solingen ist das Ärztenetz solimed, wodurch eine direkte Verbindung zur haus- und fachärztlichen Versorgung besteht. Das Geld dazu kommt von der AOK Rheinland/Hamburg. Finanziell beteiligt sind zudem die Bergische Krankenkasse und die Stadt Solingen. Der Betreiber betont: ob mit ungeklärtem Versichertenstatus oder ohne Krankenversicherung, geholfen werde allen.
Hausarztpraxen bestätigen Arbeitserleichterung
In Hamburg, wo in Billstedt/Horn ab 2017 Gesundheitskioske öffneten, kam nach 18 Monaten Laufzeit eine Evaluation des „Hamburg Center for Health Economics“ zu dem Schluss: „Nicht nur die Nutzerinnen und Nutzer sind mit den Angeboten des Gesundheitskiosks sehr zufrieden, auch die am Projekt teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte berichten von einer Arbeitserleichterung und einer Verbesserung der Versorgung.“ Dass durch das Projekt der Zugang zur ambulanten Versorgung nachweislich verbessert werden konnte, zeigt vor allem ein Blick auf Krankenhausfälle und ambulante Arztbesuche: Am Ende des Projekts konnte ein Rückgang der durch eine effektive ambulante Versorgung vermeidbaren Krankenhausfälle im Vergleich zu den anderen Stadtteilen Hamburgs um fast 19 Prozent festgestellt werden.
Gleichwohl sieht das Gesundheitsministerium in Nordrhein-Westfalen die inhaltliche Ausrichtung der Kioske kritisch. Weshalb es wohl auch nach der Bundestagswahl nicht zur Ausweitung des Angebots kommen wird. „Gerade die vom Bundesministerium für Gesundheit ursprünglich geplante starke medizinische Ausrichtung der Kioske inklusive einfacher medizinischer Routineaufgaben mittels ärztlich delegierter Leistungen wird nicht für sinnvoll oder erforderlich erachtet“, sagte ein Sprecher des NRW-Gesundheitsministeriums dem Evangelischen Pressedienst (epd). Eine „Arztpraxis light“, wie einst angedacht, stelle keine sinnvolle Versorgungsstruktur dar.
„Ganzheitlicher Ansatz im Sozialraum“
Deshalb betont der Sprecher, die Kioske in NRW unterschieden sich in der Praxis ganz deutlich von den Planungen des Bundesgesundheitsministeriums. „Bei den Kiosken handelt es sich um einen ganzheitlichen Ansatz im Sozialraum. Der Gesundheitskiosk fungiert als Anlaufstelle und Lotse für Klienten mit multiplen Problemlagen, die nicht nur den Gesundheitsbereich betreffen.“
In Wiesbaden arbeitet man an der Eröffnung eines ersten Gesundheitskiosks. „Der wird unter der Trägerschaft des Gesundheitsamtes Wiesbaden laufen und von Mitarbeiterinnen des Amtes besetzt sein“, sagte der Gesundheitsreferent der Stadt, Thomas Völker, dem epd. Das Konzept werde offen gestaltet, so dass dort beispielsweise auch Raum für Selbsthilfeangebote sein werde. „Wir freuen uns, dass wir die Tafel Wiesbaden in die Räumlichkeiten integrieren konnten, wovon wir uns vielfältige Kooperationen und eine Win-win-Situation für die Tafel-Kundinnen und -Kunden versprechen.“
In der Landeshauptstadt gab es ursprünglich den Plan, drei dieser Anlaufstellen zu eröffnen - weil Minister Lauterbach für je 80.000 Einwohnerinnen und Einwohner einen Gesundheitskiosk aus Bundesmitteln finanzieren wollte. Doch dann kam alles anders: Die Idee löste sich in Luft auf, und damit auch die angedachten Zuschüsse von 80 Prozent der Kosten.
Wiesbaden bekommt ersten Kiosk
Doch die Südhessen wollten ihre schon weit gediehenen Planungen nutzen, um wenigstens einen Kiosk einzurichten. Das gelingt nun auch: Im Wiesbadener Westcenter wurden Räume angemietet: „Aktuell findet der Umbau statt, die Eröffnung erwarten wir für das zweite Quartal 2025.“ Völker bedauert, dass es für diese Hilfsangebote keine Förderung des Bundes gibt. Das treffe vor allem Kommunen, die solche Angebote bräuchten: „In Wiesbaden funktioniert das nur, weil wir die Personalkosten über das Gesundheitsamt tragen können, sonst hätten wir das nicht umsetzen können.“
Dass es letztlich wie immer ums Geld geht, betont auch Matthias Mohrmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg: „Wir werden Gesundheitskioske oder vergleichbare Einrichtungen zukunftssicher nur weiter betreiben können, wenn die Angebote politisch gewollt sind und angemessen gefördert werden.“ Seine Kasse schätzt den bundesweiten Bedarf auf 50 bis 100 Einrichtungen. Auch wenn das wohl nur Wunschdenken bleibt: Die Bundesregierung müsse „den Rahmen für eine nachhaltige und gerechte Finanzierung schaffen“.