
Fansozialarbeit gibt es seit über 40 Jahren. Sie entstand, als immer mehr Hooligans in den Stadien für Unruhe sorgten. So kam die Idee auf, dass Sozialarbeiter Abhilfe schaffen könnten. Heute gibt es mehr als 70 Projekte, darunter auch Angebote von Diakonie und Caritas.
Würzburg, Paderborn (epd). Sie haben ihre eigene Sprache, in der es auf jedes Wort ankommt. Sie haben ihre eigenen Regeln, ihre eigene Kultur. Jugendliche Fußballfans leben in einer besonderen Welt. „Die ist bunt und cool“, sagt Jonathan Freudenberger. Aber sie ist zugleich gefährlich. Teenager, die sich voll und ganz dem Fußball verschrieben haben, vor Gefahren zu bewahren und ihnen in brenzligen Situationen beizustehen, das ist der Job des Fansozialarbeiters von der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe in Würzburg. Freudenberger hat zusammen mit seinem Kollegen Johannes Bork Kontakt zu schätzungsweise 300 Fußballfans zwischen 12 und 27 Jahren.
Fansozialarbeit ist ein vergleichsweise unbekanntes Feld. Und dass in diesem Metier auch Diakonie und Caritas aktiv sind, dürfte manchen zusätzlich überraschen. Ein Angebot der Caritas ist das Fanprojekt Paderborn, eine sozialpädagogische Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung. Sie wurde im Herbst 2012 ins Leben gerufen und wird getragen vom Caritasverband Paderborn.
Ansprechpartner in allen Fragen
Die Zielgruppe bilden Fußballfans im Alter von 12 bis 27 Jahren, aber auch für Menschen anderen Alters bietet man sich als Ansprechpartner an. „Mit unseren Angeboten unterstützen wir Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in ihrer Persönlichkeitsentwicklung, fördern ihr Engagement und stehen ihnen in allen Lebenslagen zur Seite. Natürlich auch bei Themen ohne Fußballbezug“, ist auf der Homepage zu lesen. Es gibt zahlreiche Aktivitäten, von Hobbyturnieren über die Hausaufgabenhilfe bis zu kulturellen Angeboten. Und: „Darüber hinaus fungieren wir als Vermittlungsinstanz und vertreten die Interessen der Fans in unterschiedlichen Netzwerken.“
Wie wichtig Fansozialarbeit im Einzelfall ist, zeigt Caritasmitarbeiter Marvin Schuck am Beispiel eines jungen Manns auf, der es jüngst während eines Fußballspiels mit der Polizei zu tun bekam. Mehrere Polizisten holten ihn aus dem Stadion und nahmen seine Personalien auf. Ihm wurde Sachbeschädigung vorgeworfen. Schuck: „So etwas hatte er noch nie zuvor erlebt.“ Allein die Übermacht der Polizei verwirrte ihn: Vier Beamte standen dicht um ihn herum, weitere in nur geringer Entfernung. Schuck vermittelte. Noch Tage später habe sich der Jugendliche gefragt, wie es nun weitergehe und mit welchen Folgen er zu rechnen habe.
Fans sind „eine heikle Klientel“
In der Öffentlichkeit sind Fansozialarbeiter kaum präsent. Sie sprechen nicht gerne über das, was sie tun. Nicht, weil sie ihren Job nicht lieben würden. Sondern sie wissen: Würden sie etwas publik machen, was den Fans nicht gefällt, wären die sofort weg. Dann wäre jahrelange Beziehungsarbeit zerstört. Fußballfans, vor allem die „Ultras“, seien eine heikle Klientel. Manchmal, sagt Freudenberger, werde schon ein versehentlich falsch verwendetes Wort als Vertrauensbruch gewertet.
Fansozialarbeit ist vor allem deshalb fordernd, weil der Anspruch darin besteht, wirklich jedes Spiel zu begleiten. Sowohl daheim als auch auswärts. Die Auswärtsfahrten, die für minderjährige Fans organisiert werden, sind von besonderer Bedeutung. „Gerade hier kann Beziehungsarbeit geleistet werden“, sagt Bork.
Auf das letzte Fußballmatch blickt er gelassen zurück. Alles blieb friedlich. Aufregung gab es jedoch unlängst bei einem Auswärtsspiel. Der "Vorsänger” der Würzburger Ultras, also derjenige, der die Kurve dirigiert, wurde während des Anpfiffs vom Zaun geholt. Zäune zu besteigen, war in diesem Stadion verboten. Polizisten bugsierten den jungen Mann fort, um seine Personalien festzustellen. Das sorgte im Block für Unmut. Den Fansozialarbeitern gelang es, zu deeskalieren: 200 Fans beschlossen, statt ihrem Unmut freien Lauf zu lassen, zu gehen. Nur zehn minderjährige Fans blieben, begleitet von den Sozialarbeitern, zurück.
Fanprojekte haben meist auch offene Angebote
Die meisten Fanprojekte haben auch offene Angebote. In Würzburg befindet sich ein Fantreff im Jugendzentrum des Stadtteils Heidingsfeld. Im kleinen Hof nebenan kann eine Wand besprüht werden. Auch Graffiti gehören zur Jugendfankultur. Überhaupt sind Fußballfans kreativ. Sie gestalten Sticker, kreieren Fahnen und Spruchbänder oder üben Choreografien ein. Ein Problem kann, muss aber nicht sein, dass sich das ganze Leben um den Fußball dreht. Viele haben außerhalb der Fanszene keine Freunde. Und: Manchmal wird über dem Sport die Schule vernachlässigt.
Auch besteht die Gefahr, in Abhängigkeit zu geraten. Fußball und Alkohol, aber auch Fußball und Drogen sind miteinander verschwistert. Glücksspiele, so Bork, stellen ebenfalls eine Gefahr dar: Leicht ist ein Fan versucht, einen Teil der hohen Kosten, die sein Lieblingssport verschlingt, über Wetten hereinzuholen. Und: Aggressivität schwebt als weiteres Damoklesschwert über aktiven Fans.
Geldsorgen machen vielen Fanprojekten zu schaffen. Die Finanzierung steht prinzipiell auf drei Säulen: Die Hälfte der Kosten kommt von den Fußballverbänden DFB und DFL, jeweils 25 Prozent tragen Kommunen und Bundesland. Der Zuschuss durch die Fußballverbände ist jedoch auf 150.000 Euro im Jahr gedeckelt. Diese Summe wurde, unter anderem durch Tariferhöhungen, in Paderborn nun erreicht. Die Projektarbeit ist weitgehend ausgebremst. In Würzburg, wo sich Stadt und Landkreis die kommunalen Kosten teilen, stieg der Landkreis aus der Förderung aus. Das Fanprojekt hofft nun, dass die Stadt Würzburg in die Bresche springen wird.