In der Pflege hält die Künstliche Intelligenz (KI) nur sporadisch Einzug. Doch ihre Relevanz wird zunehmen und die Pflege verändern. Wie kann sie Fachkräfte im Alltag entlasten? Fest steht: Althergebrachte Arbeitsabläufe werden sich massiv verändern.
Frankfurt a.M. (epd). Noch ist dieses erdachte Szenario Science-Fiction, doch in wenigen Jahren könnte es auf Demenzstationen Realität werden: Senior Günther steht mitten in der Nacht auf und möchte einkaufen gehen. Der am Eingang der Station wachende Serviceroboter Pepper bemerkt das. Er rollt langsam auf den verwirrten Günther zu und fragt ihn freundlich, was er vorhabe. Die Maschine weiß, dass es tief in der Nacht ist, und weil sie auch Günthers Demenz kennt, erfolgt der Rat, doch wieder ins Bett zu gehen.
Lässt sich der Heimbewohner jedoch nicht beirren, dann benachrichtigt der Roboter das Pflegepersonal, das dann einschreiten kann. Auch Notfälle wie etwa folgenreiche Stürze erkennt die Maschine und kann alleine Hilfe holen. Vorteil des Technikeinsatzes: Pflegefachkräfte müssen nicht ständig vor Ort sein. Das ermöglicht effektive Ruhephasen und vermeidet Personalengpässe, sollte zugleich ein Notfall auftreten.
Nur ergänzende Dienste
Beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Pflege geht es laut Experten nicht darum, Personal zu ersetzen oder Pflegebedürftige alleine von Robotern zu betreuen zu lassen. Schon der Gedanke ist abwegig, zumal der Einsatz von Robotern wie Pepper, Nao, Navel und Co technisch noch längst nicht ausgereift ist. Vielmehr sollen „intelligente“ Systeme wie ChatGPT und eben auch Roboter das Fachpersonal entlasten. Beispielsweise indem sie organisatorische Aufgaben, Analysen und das Monitoring übernehmen. Das gibt es, anders als interaktive Roboter, bei Trägern der Pflege bereits öfter als gemeinhin erwartet.
Der 1,2 Meter hohe humanoide Roboter Pepper, der unter verschiedenen Namen firmiert, ist weiß und hat kugelrunde Augen. Auf seinem Bauch ist ein Bildschirm angebracht. Er kann menschliche Gefühle erkennen und darauf reagieren sowie Mimik und Gestik seines Gegenübers analysieren. „Sein kindlich-stilisiertes Design verbirgt jegliche Technik und erhöht die soziale Akzeptanz“, wirbt der Hersteller auf seiner Homepage. „Pepper ist auf Veranstaltungen ein echter Publikumsmagnet. Zugleich ist er ein sympathisches Beispiel für die Anwendung von KI“, sagt Nadine Kaltschmidt vom Mittelstand-Digital Zentrum Magdeburg.
Roboter könnten in Pflegeheimen vielseitig zum Einsatz kommen, zum Beispiel als Hebehilfe. Sie eignen sich auch, Transportaufgaben zu übernehmen, wie die Wäsche, das Geschirr einzusammeln, Schränke aufzufüllen, ganze Bereiche zu reinigen oder das Bewegungstraining von pflegebedürftigen Personen anzuleiten. All das wären indes nur ergänzende Dienste, die jedoch das Arbeitspensum von Pflegefachkräften reduzieren würden.
Studie bringt positive Ergebnisse
„Der Einsatz sozialer Robotik in der Pflege ist kein Selbstläufer, sondern muss gut begleitet und evaluiert werden“, sagt Judith Schoch vom Institut für Innovation, Pflege und Alter (IPA). Es hat für die Evangelische Heimstiftung in Stuttgart über ein Jahr lang den Einsatz von zwei Navel-Robotern in ihren Einrichtungen wissenschaftlich untersucht. Sie kamen in der Alltagsbegleitung mehrmals pro Woche zum Einsatz, sowohl in Gruppen als auch in Einzelgesprächen. Man habe wissen wollen, „ob soziale Robotik im Pflegeheim funktioniert und was sie den Menschen bringt - sowohl den Pflegebedürftigen als auch den Mitarbeitenden“.
Die Mitarbeitenden sehen den Angaben nach durchaus das Potenzial des sozialen Roboters, die Lebensqualität der Bewohner zu verbessern und perspektivisch Mitarbeitende zu entlasten. „Allerdings nur dann, wenn sich wesentliche Funktionen künftig verbessern: Mobilität, Reaktionszeit sowie Sprach- und Gesichtserkennung“, so die Heimstiftung. Und, auch das ist interessant: Es gab wenig ethische Bedenken gegen den Robotereinsatz, weder bei Mitarbeitenden noch bei Angehörigen oder Kunden. Deshalb hat die Heimstiftung bereits zusätzlich zwei neue Roboter gekauft.
Mehr Zeit für Zwischenmenschliches
Dass künftig Roboter alleine die Pflege übernehmen, hält der Robotik-Experte Professor Sami Haddadin von der Technischen Universität München für ausgeschlossen: „Dieses Szenario hat sich in vielen Köpfen festgesetzt, wird aber keine Realität.“ Weil Robotik und Künstliche Intelligenz die Fachkräfte nicht ersetzen könnten, nur unterstützen. Haddadins Vision ist es, „dass Roboterassistenten dem Pflegepersonal in 20 Jahren sehr viele Aufgaben abnehmen“. Dann, so der Direktor des Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence (MIRMI) der Technischen Universität München, „können sich Fachkräfte wieder mehr den zwischenmenschlichen, verbindenden Tätigkeiten widmen“.
Das sieht auch Professor Patrick Jahn so. Der Professor für Versorgungsforschung aus Halle sagte der B. Braun-Stiftung: „Die KI ist dann gut, wenn sie in der Hand der Profis bleibt. Wir sollten sie als Werkzeug verstehen und nicht als Möglichkeit, unsere Arbeit abzugeben. Mir ist auch aktuell keine KI bekannt, die das leisten kann.“
Fachleute erwarten zwar, dass die KI-Nutzung auf breiter Ebene in die Sozialwirtschaft einziehen und den Sektor grundlegend revolutionieren wird. Doch das wird noch dauern. Denn vieles bei der Anwendung sei noch unklar. Etwa, welche Chancen und Risiken daraus erwachsen und auf welche Weise sie die verschiedenen Arbeitsfelder der Branche verändern werden.
Einsatz noch gering ausgeprägt
Das belegt auch die Studie „Künstliche Intelligenz in der Sozialwirtschaft“ aus dem Vorjahr. Dort steht zu lesen: „Der tatsächliche Einsatz von KI-gestützten Anwendungen ist in der Sozialwirtschaft noch gering ausgeprägt. Bei der verwaltungs- oder steuerungsbezogenen Nutzung sind Chatbots wie ChatGPT und der KI-gestützte Rechnungseingang am weitesten verbreitet.“ Noch geringer als im Verwaltungsbereich sei die KI im Rahmen der direkten Klientenarbeit verbreitet. Am häufigsten genutzt würden hier die KI-gestützte Sprachübersetzung in der Arbeit mit fremdsprachigen Menschen und die Kommunikationshilfen für Menschen mit sprachlichen Beeinträchtigungen, schreiben die Autoren Helmut Kreidenweis und Maria Diepold von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Die Diakonie Stiftung Salem in Minden, die rund 3.000 Mitarbeitende beschäftigt, nutzt KI in der Pflegedokumentation. Sie verwendet das Programm „voize“, eine Sprach-App, mit der die Dokumentation direkt am Bett oder beim Bewohner in das Smartphone eingesprochen wird. Nach einem Testlauf wurden sieben stationäre Einrichtungen durch eine Projektmanagerin geschult und innerhalb von fünf Tagen mit „voize“ ausgestattet, sagte Carsten Wöhler, Prokurist und Geschäftsbereichsleiter Pflege & Leben der Diakonie Stiftung Salem dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Wir sehen damit eine Beschleunigung der Arbeitserbringung. Es bleibt durch die schnellere Dokumentation gewonnene Zeit für die Betreuung der Bewohner übrig.“
Die Anwendung der App führt nach seinen Worten zu „einer epochalen Veränderung der Arbeitsabläufe im Pflegeprozess“. Bisher wurde teilweise Stunden später die erledigte Arbeit schriftlich am PC dokumentiert. Nun passiere das meist unmittelbar per Spracheingabe. „Weil in der Regel nicht jeder Mitarbeiter flüssig in einem Zehnfingersystem am PC schreibt, jedoch flüssig sprechen kann, entstehen Effizienzgewinne“, so Wöhler. Weiterhin werde die Sprachdokumentation in Grammatik und Interpunktion fehlerfrei übertragen. Vorteil: Prüfinstitutionen könnten ohne langes Rätselraten lesen, welche Tätigkeit die einzelne Pflegekraft für die Bewohner erbracht hat.
Jede Innovation habe Befürworter und Kritiker, merkt der Prokurist an: „Letztlich überwiegen für die Mitarbeitenden und die Leitungskräfte jedoch die Vorteile aus der Sprachdokumentation in Form der Klarheit, Korrektheit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit.“