DRK: Pflegenden Angehörigen mehr unter die Arme greifen
s:17:"Gerda Hasselfeldt";
Gerda Hasselfeldt

DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt fordert Reformen, die jene in den Blick nehmen, die bislang in der Pflege oft unter dem Radar bleiben: pflegende Angehörige. „Ohne sie ist die Versorgung pflegebedürftiger Menschen überhaupt nicht denkbar“, so die Verbandschefin. Aber die informelle Pflege braucht mehr Unterstützung aus der Politik, schreibt Hasselfeldt in einem Gastbeitrag für epd sozial.

Die Pflege steht in Deutschland am Abgrund. Warum? Jahrelang hat man es verpasst, notwendige Maßnahmen angesichts zahlreicher Entwicklungen wie dem Arbeitskräftemangel oder der Demografie zu ergreifen. Nun spitzt sich das Ganze an vielen Stellen immer weiter zu: Sei es beim Thema hohe Eigenanteile für zu pflegende Personen, bei der finanziellen Lage der Pflegeversicherung oder eben auch beim Thema fehlende Arbeitskräfte.

Der Reformbedarf ist in vielen Bereichen groß. Als ein Teil der Lösung für die bestehenden Probleme wird oft ein noch stärkerer Einbezug von Angehörigen beziehungsweise Personen aus dem näheren Umfeld (Zugehörige) zur Pflege angeführt.

Heimische Pflege spart auch Ressourcen

Dabei gilt es zunächst festzuhalten: Bereits heute werden rund vier von fünf Pflegebedürftigen in Deutschland zu Hause versorgt, häufig durch pflegende Angehörige mit Unterstützung eines ambulanten Pflegedienstes. Pflegende An- und Zugehörige sind mitunter eine Antwort auf zu hohe Kosten für einen stationären Pflegeplatz. Die informellen Pflegetätigkeiten durch An- und Zugehörige sparen nicht zuletzt Ressourcen von professionellen Pflegekräften. Auf den Punkt gebracht: Pflegende Angehörige sind schon heute eine tragende Säule des Pflegesystems - ohne sie ist die Versorgung pflegebedürftiger Menschen überhaupt nicht denkbar.

Die Bedeutung der informellen Pflege wird aufgrund der Demografie wohl weiter zunehmen. Wenn man pflegende An- und Zugehörige also noch stärker einbeziehen will, dann sollte die verantwortliche Politik zunächst dafür sorgen, dass sich die Situation für diese verbessert. Das ist man den Menschen, die bereits heute oft bis an den Rand der Erschöpfung und mitunter sogar darüber hinaus Hilfe leisten, schuldig, aber dies ist auch nötig, wenn zukünftig noch mehr Menschen zu Hause gepflegt werden sollen.

Unterstützungssystem müssen ausgebaut werden

Was ist dafür zu tun? Aus Sicht des DRK müssen die professionellen sowie die ehrenamtlich getragenen Unterstützungssysteme für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen dringend gestärkt werden. Zur Entlastung pflegender Angehöriger braucht es vor allem einen Ausbau der bestehenden Angebote der Verhinderungs-, Kurzzeit-, Tages- und Nachtpflege. Denn es sollte auf keinen Fall so sein, dass Menschen sich mit der Pflege alleingelassen fühlen.

Zudem gilt es, ehrenamtlicher und freiwilliger Unterstützung ein höheres Gewicht einzuräumen. Die Unterstützung der Pflege kann beispielsweise durch ehrenamtliche Besuchsdienste und durch einen Ausbau der Freiwilligendienste erweitert und gestärkt werden. Informelle Pflegetätigkeiten bedürfen einer besseren professionellen Koordination, Anleitung, Begleitung und Schulung. Quartiere und Sozialräume brauchen ehrenamtliche und niederschwellige Versorgungsstrukturen, die systematisch betreut und koordiniert werden müssen.

Das DRK will durch ein besseres Zusammenwirken von informeller und formeller Pflege die Versorgungssituation insgesamt verbessern, sodass unterschiedliche Pflegearrangements besser miteinander verzahnt und möglichst flexibel miteinander kombinierbar werden können.

Informelle Pflege muss rentenwirksam werden

Formelle und informelle Pflegetätigkeiten müssen zudem besser anerkannt werden. Beispielsweise könnte pflegerisches Engagement von Erwerbstätigen für den Aufbau von Rentenansprüchen stärker berücksichtigt werden. Die derzeitigen Regelungen benachteiligen pflegende An- und Zugehörige bei der Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Denn eine Reduktion der Erwerbstätigkeit zugunsten der Pflegetätigkeit führt aktuell zu geringeren Rentenansprüchen und wird unzureichend kompensiert.

Wir sprechen uns dafür aus, diese Schlechterstellung aufzufangen. Zudem wäre aus unserer Sicht entsprechend den Empfehlungen des unabhängigen Beirats für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf auch eine steuerfinanzierte Freistellung für pflegende An- und Zugehörige vorstellbar, so wie diese auch von der aktuellen Bundesregierung im Koalitionsvertrag vorgesehen war. Leider gab es bisher, zum Leidwesen pflegender An- und Zugehöriger, diesbezüglich keine konkreten Vorschläge. Immerhin hat das Bundesfamilienministerium angekündigt, an einem Gesetzentwurf bezüglich einer Reform der Familienpflegezeit in den kommenden Monaten arbeiten zu wollen.

„Niemand darf im Pflegedschungel verloren gehen“

Zudem gilt es, die Beratungsstrukturen zu verbessern und übersichtlicher zu gestalten. Besonders zu Beginn einer Pflegesituation brauchen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bessere Orientierung über Angebote und Unterstützungsleistungen. Eine Stärkung und Verbreitung der Pflegestützpunkte als zentrale Bausteine der Pflegeinfrastruktur und -beratung sind voranzutreiben. Dies würde auch die gemeinsame Gestaltung der sowohl formellen als auch informellen pflegerischen Versorgung vor Ort sichern. Pflegebedürftige und Pflegepersonen könnten von Pflegestützpunkten besser unterstützt und befähigt werden, zu einer geordneten Übersicht hinsichtlich der Kompetenzen, Zuständigkeiten und Gestaltungsspielräume der Pflegeakteure vor Ort zu gelangen. Niemand sollte und darf im „Pflegedschungel“ verloren gehen.

Angesichts der angespannten Finanzlage der Pflegeversicherung, aber auch vieler öffentlicher Haushalte ist auch die Frage der Finanzierbarkeit von Maßnahmen immer relevant. Natürlich wären die hier vorgeschlagenen Verbesserungen für die Pflege durch An- und Zugehörige nicht kostenlos zu haben, aber man muss sich auch bewusst sein, dass die Alternative noch deutlich höhere Kosten für das Pflegesystem insgesamt bedeuten würde. Ein Rückgang informeller Pflegeleistungen würde am Ende die bereits unter Stress stehenden professionellen Versorgungsstrukturen noch mehr belasten. Aus meiner Sicht ist die konsequente Unterstützung pflegender An- und Zugehöriger der bessere Weg und mit etwas politischem Willen auch umsetzbar.

Denn eines sollte nicht zur Debatte stehen: Trotz der Herausforderungen durch Fachkräftemangel, demografischer Entwicklung und Belastung der Sozialversicherung muss die Sicherheit der pflegerischen Versorgung derer, die sie benötigen, gewährleistet werden. Die Herausforderungen in der Pflege sind vielfältig und erfordern dringend umfassende Reformen, aber auch ein komplettes Umdenken. Klar ist dabei, und so ehrlich muss man sein, dass der Zivilgesellschaft mehr Verantwortung zukommt, für sich selbst zu sorgen. Das Mindeste muss dann aber sein, dass dafür gesorgt wird, dass pflegende An- und Zugehörige gut begleitet werden und die Organisation des Ganzen möglichst reibungslos funktioniert.

Gerda Hasselfeldt ist Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK)