Diakonie-Vorständin: Dem Populismus etwas entgegensetzen
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Elke Ronneberger
Berlin (epd).

Elke Ronneberger stammt aus Halle (Saale) und ist Diplom-Pädagogin. Vor ihrem Wechsel in den Diakonievorstand gehörte sie der Geschäftsführung der Kloster Dobbertin gGmbH an. Jetzt will sie „den diakonischen Ansatz in eine politische Lobbyarbeit einbringen“, sagt sie im Interview mit epd sozial. Die Fragen stellten Christina Neuhaus und Dirk Baas.

epd: Frau Ronneberger, Sie sind knapp vier Wochen als Vorständin der Diakonie im Amt. Wie sind die Aufgaben im Vorstand jetzt verteilt?

Elke Ronneberger: Im Bundesvorstand der Diakonie Deutschland bin ich zuständig für die Sozialpolitik. Dazu gehören die Arbeitsfelder Gesundheit und Pflege, Armut und Teilhabe sowie Flucht und Migration. In meinem Bereich liegen auch die Themen Kinder, Jugend, Familie und Frauen, nicht zuletzt die Fragen des zivilgesellschaftlichen Engagements. Das ist schon ein sehr breites Portfolio, und die Einarbeitung war in den ersten Wochen unglaublich spannend und lehrreich. Als sehr vertrauensvoll erlebe ich die enge Zusammenarbeit an der Spitze unseres Verbandes mit Präsident Rüdiger Schuch und unserem Vorstand für Recht und Wirtschaft, Jörg Kruttschnitt.

epd: Sie haben zuletzt viele Jahre bei zwei großen Trägern gearbeitet, die vor allem in den Bereichen Bildung, Förderung und Pflege tätig waren. Liegen da auch künftig Ihre besonderen Interessen?

Ronneberger: Ich war immer in diakonischen Unternehmen tätig, die breit aufgestellt waren. Ich bin Generalistin und habe immer mit allen sozialen Themen zu tun gehabt. Ganz gleich, ob das Bildung ist - bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen - oder Pflege, Eingliederungshilfe und Integration von Migrantinnen und Migranten. Jetzt bin ich dabei, das Verbandsleben kennenzulernen. Das ist etwas anderes, als ein Sozialunternehmen zu führen, und insofern schon ein Perspektivwechsel.

epd: Was genau hat Sie an der Aufgabe hier bei der Bundesdiakonie gereizt?

Ronneberger: Was mich immer an der Sozialpolitik fasziniert hat, ist ihre große Bandbreite. Und das Engagement für die Menschen, die stets im Mittelpunkt unseres Handelns stehen. Die Zeiten, wo wir zu wissen meinten, was gut ist für die Menschen am Rande der Gesellschaft, und ihnen quasi unsere Fürsorge überstülpten, sind vorbei. Unser Ziel ist es, Menschen so zu unterstützen, dass sie eigenständig in der Gesellschaft leben können und ihr Auskommen haben. Das Fundament dafür ist unser christliches Menschenbild, die Nächstenliebe. Da werde ich meine ganze Kraft einsetzen. Besonders bewegt mich die Frage, wie wir diesen diakonischen Ansatz in die politische Lobbyarbeit und den gesellschaftlichen Diskurs einbringen können. Hier sehe ich eine große Chance, positiv zu wirken.

epd: Sie stammen aus dem Osten Deutschlands, haben durchweg dort gearbeitet. Was hat sich dort in den vergangenen Jahren in der Gesellschaft geändert, wenn man den Topos der gespaltenen Gesellschaft berücksichtigt?

Ronneberger: Es stimmt, dass es im Osten bei vielen Menschen Unzufriedenheit gibt, aus den verschiedensten Gründen. Das sieht man auch an der Stärke der AfD, die diese Stimmungen verstärkt, um davon zu profitieren. Es gibt durchaus Menschen, die meinen, dass sie von einer westdeutsch geprägten Politik nicht gesehen wurden, und die sich von der aktuellen Politik nicht ausreichend repräsentiert fühlen. Wir tun gut daran, mit diesen Bürgerinnen und Bürgern wieder in den Dialog zu gehen. Die Politik hat in der Vergangenheit oft versäumt, den Menschen im Osten die nötige Aufmerksamkeit zu schenken und ihre Perspektiven in den politischen Diskurs einzubinden. Doch das ist nicht nur ein ostdeutsches Phänomen. Auch in westdeutschen Regionen gibt es Gebiete, die sich abgehängt fühlen. Wir müssen überall in Deutschland Räume schaffen, in denen Menschen ihre Kritik äußern können und gehört werden. Das ist die Voraussetzung dafür, Vertrauen zurückzugewinnen und gemeinsam Lösungen zu finden, die alle Teile der Gesellschaft einbeziehen.

epd: Bleiben wir noch im Osten. Wo liegen die Probleme, die dringend anzugehen sind, und die bei den Bürgerinnen und Bürgern für Verdruss sorgen?

Ronneberger: Ich denke hier an Gegenden, in denen die Menschen beispielsweise nicht selbstverständlich Zugang zum Internet haben, zu kulturellen Veranstaltungen, zu Treffpunkten. Die Teilhabe ist aber wichtig für den Zusammenhalt. Ich war zuletzt in Mecklenburg-Vorpommern tätig. Wenn dort ein ganz kleiner Ort mit 150 Einwohnern kein Zentrum mehr hat, keinen Laden, keine Kneipe, dann ist das schwierig und herausfordernd. Dann sind die Kommunen, aber auch Diakonie und Kirche und andere Einrichtungen, die dort noch präsent sind, gefordert, dort gute Angebote zu machen.

epd: Angenommen, es gelingt der Diakonie, dort ins Gespräch zu kommen. Was müssten die Themen sein?

Ronneberger: Zunächst halte ich es für sehr wichtig, überhaupt in Kontakt zu kommen und Dialoge auf Augenhöhe zu führen. Die Menschen müssen die Gelegenheit haben, zu sagen, was sie aufregt, was sie ärgert, wo die Ursachen ihrer Probleme liegen. Diese Diskussionen sind notwendig, auch um wieder zu lernen, mehrere Meinungen nebeneinander gelten zu lassen. Da sind wir im Osten sehr sensibel, weil wir anders sozialisiert sind. Wir müssen uns auch über die Unterschiede unterhalten können, daran wachsen und uns weiterentwickeln. Das ist sehr wichtig: hinschauen und zuhören.

epd: Und das funktioniert in der Praxis?

Ronneberger: Ja. Diakonie und Kirche haben die Kampagne „#VerständigungsOrte“ ins Leben gerufen. Da bleiben wir nicht in den innerdiakonischen oder innerkirchlichen Zirkeln, sondern wir gehen ganz bewusst auf die Straße. Wir treffen Menschen, die der Gesprächseinladung folgen, die auch unterschiedlicher Meinung sind. Ich habe miterlebt, wie vehement diskutiert wurde, auch mal sehr laut, sehr emotional, aber am Ende gab es positive Rückmeldungen: „Schön, dass mir endlich mal nach über zwei Jahrzehnten jemand zugehört hat“, heißt es am Ende. Das allein zeigt schon, wie wichtig es ist, dass wir in diesen Diskurs hineingehen, die Aussagen der Menschen ernst nehmen und ihre Anliegen weiterverfolgen. Wie gesagt, ich würde es nicht nur für den Osten so sehen, sondern für alle Gegenden, wo Menschen wenig Infrastruktur haben, keine Kulturangebote, keine Einkaufsmöglichkeiten, keinen Arzt. Wo Begegnungsmöglichkeiten fehlen, müssen wir sie schaffen.

epd: Kommen wir zurück zur großen Politik in Zeiten des Wahlkampfes. Einen Haushalt für 2025 gibt es bisher nicht, und in manchen Wahlprogrammen ist von Kürzungen im Sozialen zu lesen. Womit muss die soziale Arbeit rechnen?

Ronneberger: In der Tat, wir leben in unsicheren Zeiten. Und genau deshalb müssen wir als Diakonie unsere Stimme erheben, um auf grundlegende Werte unserer Demokratie hinzuweisen. Populismus und vereinfachender Schwarz-Weiß-Malerei müssen wir etwas entgegensetzen. Es ist besorgniserregend, dass selbst die demokratischen Parteien zunehmend eine Sprache verwenden, die problematisch ist, insbesondere in den Debatten über Migration und die Zukunft des Bürgergeldes. Diese Diskurse sind herausfordernd und schwierig, aber wir können und müssen sie führen, ohne grundlegende Werte wie die Menschenwürde zu missachten. Als Diakonie müssen wir das christliche Menschenbild in den Mittelpunkt rücken und immer wieder betonen, dass die Menschen - in all ihrer Verschiedenheit - im Zentrum stehen müssen. Gemeinsam mit anderen Wohlfahrtsverbänden setzen wir uns für eine nachhaltige und sozial gerechte Politik ein.

epd: Die Bedeutung der christlichen Kirchen nimmt ab, viele Mitglieder treten aus. Wie sehen Sie das und was bedeutet dieser Trend für die diakonische Arbeit?

Ronneberger: Leider zeigen die Mitgliederzahlen eine klare Tendenz. Aber unser diakonischer Auftrag bleibt bestehen und wir lassen uns nicht entmutigen. Diakonische Arbeit wird in der Regel positiv aufgenommen. Ein gutes Beispiel dafür ist unsere sozialräumliche Arbeit. Diese machen wir nicht, um zu missionieren, sondern um dafür zu sorgen, dass Quartiere wieder mit Leben gefüllt werden. Es geht darum, dass sich die unterschiedlichsten Bürgerinnen und Bürger vernetzen können, dass man die Nachbarschaftshilfe als wesentliches Element des Zusammenhalts wiederentdeckt, und dass das Interesse füreinander wächst. In diesen Prozessen spielen Diakonie und Kirche eine wichtige Rolle. Vielleicht wecken solche Kontakte dann auch wieder ein Interesse an Kirche.

epd: Die Wahlprogramme einiger Parteien verheißen nichts Gutes aus Sicht der Sozialverbände. Das Bürgergeld wird vermutlich stark reformiert, die Kindergrundsicherung kommt wohl nicht, eine schlüssige Rentenreform ist nicht in Sicht. Macht Ihnen das Sorgen?

Ronneberger: Das sind ja zunächst nur Ankündigungen, das Wahlergebnis und einen neuen Koalitionsvertrag müssen wir abwarten. Grundsätzlich sagen wir als Diakonie, dass man gut daran tut, in die sozialen Vorsorgesysteme zu investieren. Denn wir alle wissen: Vorsorge ist besser als Nachsorge; das ist gerade in Zeiten knapper Kassen ein kluger Ansatz. Hier ist in den vergangenen Jahren viel zu wenig geschehen. Präventionskonzepte in allen Bereichen sind zusammengestrichen worden. Man muss deutlich machen, dass Prävention viel höhere Folgekosten einsparen kann.

epd: Da kommen wir schon zum Thema Finanzierung. Wie blicken Sie in diesem Zusammenhang auf die umstrittene Schuldenbremse?

Ronneberger: Man muss das Thema umfassender beleuchten. Denn im Kern geht es darum, über Verteilungsgerechtigkeit nachzudenken. Da kommt dann auch die Frage in den Blick, welchen Beitrag sehr wohlhabende Menschen leisten können und sollten. Klar ist, dass alle Menschen ihrem Wohlstand entsprechend belastet werden müssen, um das Sozialsystem künftig zu sichern. Das Steuersystem bietet dazu viele Möglichkeiten. Es ist falsch, immer nur die Schwächsten der Schwachen zu belasten, die sich am wenigsten wehren können und kaum eine politische Lobby haben. Klar ist allerdings auch, dass unser Wohlstand erhalten bleiben soll, und das klappt nicht, wenn man zu sehr an der Steuerschraube dreht. Es geht also um Balance, auf vielen Ebenen. Wenn man die Schuldenbremse nicht eins zu eins beibehält, gibt es sicher gute Lösungen, wie auch die Einnahmeseite verbreitert werden kann.

epd: Ohne Geld geht nun mal nichts ...

Ronneberger: Sicher. Aber wir sollten darüber nachdenken, was die wichtigen Investitionen in die Zukunft sind und dann Prioritäten zu setzen. Wir haben in den zurückliegenden Jahren wirklich viel abbauen müssen, und das kommt uns jetzt teuer zu stehen. Beispielsweise muss in die Bildung von Kindern und Jugendlichen deutlich mehr investiert werden. Dann entstehen am Ende weniger Folgekosten. Das Gleiche gilt für den Arbeitsmarkt, wo ebenfalls der Rotstift angesetzt wird. In den Jobcentern muss man stattdessen unbedingt das Coaching und die Beratung verbessern. Denn eine hochwertige Beratung kann den Unterschied ausmachen, um Menschen effektiv in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dafür ist es essenziell, dass die Jobcenter mit qualifizierten Beraterinnen und Beratern ausgestattet sind, die nicht nur über das notwendige Fachwissen verfügen, sondern auch Empathie und Verständnis für die individuellen Herausforderungen der Betroffenen mitbringen. Es leuchtet doch sofort ein, dass nicht nur die Betroffenen von einer besseren Beratung profitieren, sondern die Gesellschaft insgesamt, wir alle. Denn die erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt entlastet die Sozialkassen, stärkt die soziale Teilhabe und fördert wirtschaftliche Stabilität.

epd: Reden wir noch über ein anderes großes Problem: den Fachkräftemangel. Der plagt auch die diakonischen Träger, besonders in den Kitas und in der Pflege. Was ist zu tun?

Ronneberger: An der Bezahlung der Fachkräfte liegt es bei uns wohl nicht, in den vergangenen Jahren haben wir in der Diakonie bei den Gehältern gut nachjustiert. Aber es müssen sich auch die Arbeitsbedingungen in der Pflege und in den Kitas verbessern. Da ist noch Luft nach oben, da sind alle Arbeitgeber gefordert, auch wenn die Diakonie bei vielen Arbeitgeber-Rankings weit oben liegt. Zudem sollten wir offen sein für Zuwanderung von Fachkräften in die sozialen Berufe, für Weiterbildung und mehr Ausbildung. Für uns gilt: Menschen mit Migrationsgeschichte sind sehr willkommen und sie integrieren sich gut in die Teams. Allerdings müssen wir bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse effizienter werden, weil die heutige Bürokratie eine große Hürde ist. Der Personalmangel führt schon heute dazu, dass Pflegedienste ihre Arbeit nicht vollständig ausführen können, ambulante Dienste keine neuen Klienten aufnehmen können und einige Stationen in Heimen leer stehen. Das gefährdet die Existenz der Träger und damit die Strukturen, die sicherstellen sollen, dass wir alle einmal die notwendige Unterstützung bekommen.