Das unterschätzte Potenzial der Tagespflege
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Christa Büker

Einrichtungen der Tagespflege werden, gemessen an ihrem Nutzen für pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen, nach Auffassung von Christa Büker zu wenig genutzt. Die Bielefelder Hochschullehrerin für Pflegewissenschaft erläutert in ihrem Gastbeitrag für epd sozial, wie Einrichtungen ihr Leistungsangebot und ihr Image verbessern können.

Tagespflegeeinrichtungen für ältere, pflegebedürftige Menschen bilden einen etablierten Baustein in der Versorgungslandschaft. Deutschlandweit bieten derzeit mehr als 6.000 Einrichtungen zirka 120.000 Plätze an. Vorrangige Ziele von Tagespflege sind die Aufrechterhaltung der selbstständigen Lebensführung daheim sowie die Entlastung pflegender Angehöriger.

Trotz ihrer potenziellen Bedeutung führt die Tagespflege bislang eher ein „Schattendasein“ und wird nur von einem geringen Teil der nach Paragraf 41 Sozialgesetzbuch (SGB) XI anspruchsberechtigten Personen besucht: Lediglich zirka vier Prozent nutzen dieses Angebot. Warum das so ist, wurde im Projekt „Weiterentwicklung und Qualitätsverbesserung von Tagespflege für ältere Menschen in Nordrhein-Westfalen (TpQ)“ an der Hochschule Bielefeld von 2020 bis 2022 wissenschaftlich untersucht. Gefördert wurde das Projekt durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW.

Bedenken und Ängste

Im Ergebnis der Studie zeigt sich unter anderem, dass bei älteren Menschen häufig Bedenken und Ängste in Bezug auf eine Nutzung bestehen, weil die Tagespflege mitunter als „Vorstufe zum Heim“ wahrgenommen wird. Über das konkrete Geschehen in der Einrichtung ist zudem wenig bekannt und wird eher mit wenig sinnhaften Aktivitäten in Verbindung gebracht. Hinzu kommt ein Imageproblem, das nicht zuletzt aus dem eher verstaubten Begriff „Tagespflege“ resultiert.

Die Untersuchung ergab ferner, dass die Einrichtungen selbst eine gewisse Unschärfe in Bezug auf ihr Profil aufweisen. Das eigene Selbstverständnis, Stärken und Besonderheiten sind oftmals nicht bewusst und werden nicht herausgestellt.

Dabei bietet Tagespflege ein hohes Potenzial, sich nach innen und außen als attraktives Versorgungssegment zu präsentieren. Individuelle Merkmale können als Vorteile hervorgehoben werden, beispielsweise:

• Standortfaktoren (zum Beispiel die Lage inmitten der Fußgängerzone, in der Nähe eines Zoos oder Museums, auf dem Land)

• Ausstattungsbesonderheiten (zum Beispiel Gartenanlage mit Hochbeet, Snoezelen-Raum, Fitnessraum, Volière)

• Bestehende Vernetzungen (zum Beispiel Kooperation mit einer Kindertagesstätte oder Musikschule).

Erhebliches Potenzial bietet sich mit der Gestaltung eines attraktiven, sinnerfüllten Beschäftigungsangebots. Je nach Klientel der Einrichtung sind viele unterschiedliche Aktivitäten denkbar, unter anderem tiergestützte Therapien, Bildungsangebote, Digitalisierungsangebote, Theater- und Museumsbesuche, Lesungen, Wellnesstage, spirituelle Angebote. Gleichzeitig wird die soziale Teilhabe der Gäste gefördert.

Schwerpunkt Gesundheitsförderung

Eine Schwerpunktsetzung im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention kann sich zum „Markenkern“ einer Tagespflegeeinrichtung entwickeln. Durch spezielle Bewegungsprogramme (z.B. „Fit für 100“, „Lübecker Modell Bewegungswelten“) können Mobilität und Selbstständigkeit von alten und hochaltrigen Menschen gefördert werden, auch bei einer bestehenden Demenz. Im „Sturzpräventionsprogramm nach dem Ulmer Modell“ trägt Kraft- und Balancetraining zum Erhalt und zur Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit bei. Eine fachgerechte Anleitung ist nach entsprechender Fortbildung durch Pflegefachpersonen möglich. Auch die Beachtung einer gesunden Ernährung in der Tagespflege kann zum Ausbau des Schwerpunkts Gesundheitsförderung beitragen.

Eine regelmäßige Berichterstattung über innovative Aktivitäten vermittelt ein positives Image nach außen und erhöht die Sichtbarkeit von Tagespflege. Dazu gehört dauerhafte Öffentlichkeitsarbeit durch Berichte in der Lokalpresse, auf der Homepage und über Social Media, gegebenenfalls ergänzt um öffentliche Vortragsveranstaltungen, Tage der offenen Tür, Einladung von Gruppen zur Besichtigung der Einrichtung. Niederschwellige Kennlernangebote (Probe- oder Schnuppertage, Gutscheine, stundenweiser Besuch in Begleitung von Angehörigen) erleichtern potenziellen neuen Gästen, die Hemmschwelle einer Nutzung von Tagespflege zu überwinden.

Schärfung des eigenen Profils

Beispielgebend für eine gelungene Imageförderung von Tagespflege sind die Ergebnisse aus dem Projekt PROFIL, ein gemeinschaftliches Projekt der Caritas für das Bistum Münster und der Hochschule Bielefeld. Neun Tagespflegeeinrichtungen entwickelten innovative Ideen zur Schärfung ihres eigenen Profils. Drei werden hier kurz vorgestellt:

• Die Tagespflege St. Paulus im Kamp-Lintfort entwarf die Idee eines Rollatorentrainings für ihre Gäste, sowohl als Individualtraining als auch als Gruppentraining. Geplant und umgesetzt wurde ein praxisnahes Konzept für Übungen mit und am Rollator zur Förderung von Selbstständigkeit, Sicherheit und Mobilität.

• Die Tagespflege in Senden implementierte ein Kneipp-Konzept durch die Integration der fünf Säulen Wasser, Bewegung, Ernährung, Heilpflanzen und Lebensordnung. Vielfältige Aktivitäten wurden entwickelt und umgesetzt, unter anderem Wasseranwendungen, ein Barfußgang, sensorische Anwendung von Kräutern.

• Der Förderung von Angehörigenarbeit widmete sich die Tagespflege St. Josef in Sassenberg. Dazu gehörten etwa ein Beratungsangebot für pflegende Angehörige mit Vorträgen und Einzelberatungen sowie ein Gesprächskreis und eine „Verwöhnwoche“ für pflegende Angehörige.

Um das Versorgungssegment Tagespflege aus dem Schattendasein zu holen, sind die Einrichtungen zum einen selbst gefordert, ihr Profil weiterzuentwickeln und sich so um ein neues Image in der Versorgungslandschaft zu bemühen. Zum anderen bedarf es einer Anpassung der Rahmenbedingungen, etwa die Einführung einer flächendeckenden Abwesenheitsvergütung. Denn: Sagt ein Tagespflegegast kurzfristig ab, zum Beispiel wegen Krankheit, erhalten die Einrichtungen in manchen Bundesländern keine Vergütung. Nicht zuletzt besteht Forschungsbedarf, zum Beispiel in Bezug auf das gesundheitsförderliche Potenzial von Tagespflege.

Christa Büker ist Professorin für Pflegewissenschaft an der Hochschule Bielefeld.