Bischof Dr. Gerhard Feige auf dem Deutschen Katholikentag in Münster am 10. Mai 2018:
Um erschließen zu können, wie Papst Franziskus Ökumene versteht und wie er ökumenisch agiert, scheinen mir zwei biographische Zugänge von Bedeutung.
Fragen wir zunächst: Woher kommt Papst Franziskus? Er ist, anders als seine Vorgänger, nicht geprägt durch die europäische Situation, wo es historisch gewachsene protestantische Kirchen mit klaren Strukturen, einer traditionsreichen akademischen Theologie und anderen institutionalisierten Handlungsfeldern wie zum Beispiel im Bereich der Diakonie gibt. Der Papst ist im Blick auf die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften der reformatorischen wie auch der orthodoxen Traditionen nicht durch die Konfliktlagen belastet, die in Europa über Jahrhunderte das Verhältnis zwischen den Konfessionen prägten. Das gibt Franziskus eine große innere Freiheit im Zugehen auf die Kirchen, die spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die klassische Dialogökumene bestimmen. Papst Franziskus kennt von seinem lateinamerikanischen Hintergrund her die große Herausforderung durch evangelikale und pentekostale Gruppen. Er war dort mit diesen Gruppen im Gespräch, und er ist es auch als Papst geblieben. Aufsehenerregend war etwa die Video-Botschaft, die Papst Franziskus durch Tony Palmer, einen Freund aus seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires, im Januar 2014 an die Christian Leadership Convention gerichtet hat, an der Vertreter freikirchlicher, pentekostaler und evangelikaler Gemeinschaften teilnahmen. Seine auffallend herzliche Ansprache endete mit den Worten: »Ich bitte euch, mich zu segnen, und ich segne euch. Bruder zu Bruder, eine Umarmung. Danke.« Auch gab es wiederholt direkte Kontakte zur Weltweiten Evangelischen Allianz, bei denen der Papst eine intensivere Zusammenarbeit gefordert hat. Diese beiden Beispiele mögen exemplarisch zeigen, dass der Papst offen auf die Gemeinschaften des evangelikalen und pentekostalen Christentums zugeht und Türen öffnet. Das ist ökumenisch hilfreich, weil er damit Vertreter eines Spektrums des Christentums mit ins ökumenische Gespräch nimmt, das bislang weniger im Blick war und Schätzungen zufolge immerhin mehr als ein Viertel des weltweiten Christentums ausmacht.
Außerdem – und das macht den zweiten biographischen Zugang aus –, war Papst Franziskus zu Studien in Deutschland. Er kennt also zumindest von daher die spezifische Herausforderung einer Ökumene zwischen Kirchen, die soziologisch ähnlich verfasst sind und einander als gleichberechtigte Partner begegnen. Auch diese Form der klassischen europäischen Ökumene hat der Papst in seinem Pontifikat bisher gut angenommen und gut gestaltet. Ich denke hier besonders an den ökumenischen Gottesdienst, den er zum Beginn des Reformationsjahres am 31. Oktober 2016 gemeinsam mit dem Präsidenten und dem Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes in Lund gefeiert hat. Dieser Gottesdienst kann als eine liturgisch-symbolische Form einer kirchenamtlichen Rezeption des katholisch-lutherischen Dialogdokumentes »Vom Konflikt zur Gemeinschaft« zum 500. Jahrestag der Reformation verstanden werden. Der Papst hat damit deutlich gemacht, dass er hinter der Konsensökumene steht, wie sie in diesem Dokument ihre Anwendung findet und wie sie paradigmatisch in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999 zum Ausdruck kommt.
Aus epd Dokumentation 27/18 vom 3. Juli 2018
Impulsreferat zum Thema »Ökumene der Begegnungen – Ökumene der Symbole« (von Bischof
Dr. Gerhard Feige) - Predigt anlässlich des 500. Jubiläums von Martin Luthers Heidelberger Disputation
(von Margot Käßmann) »Was uns zusammenhält« – Berliner Stiftungsrede 2017 (von Wolfgang Huber) – 20 Seiten / 3,40 €