Über diesen besonderen Preis freue ich mich von Herzen.
Weil er wahrnimmt, was mir zutiefst kostbar ist und worauf ich größten Wert lege. Weil er würdigt, was mir selbst geschenkt ist – und worum ich mich zugleich immer neu mühe.
Das mit dem Wort und dem Leben darin; das mit der Sprache, ihrer Schönheit und ihrer Kraft: Das hat mich schon früh in seinen Bann gezogen. Offenbar wuchs aus dieser frühen Liebe mit der Zeit eine Gabe, die Wirkung entfaltet und zu berühren vermag. Für dieses Wunder bin ich selbst dankbar.
Mit dem Hören fing alles an. Und mit dem Hören wird es nie aufhören, darf es nie aufhören, wenn es mit dem Reden gut gehen soll.
Von klein auf habe ich begierig gehört. Hingehört, zugehört, in mich aufgesaugt: Mein Elternhaus war voller Töne und Klänge und Musik, voller Geschichten und Literatur. Meine Ohren hatten dort jede Menge Futter – und was man wirklich hört, bleibt ja in den Ohren nicht stecken. Es geht ins Herz und ins Gemüt – und nistet sich ein in der Erinnerung.
In meiner Kindheit gab es wunderbare Erzählerinnen: Die beiden Omas, Tante Lischen im Pfarrhaus in Obersuhl, Schwester Lydia im Kindergottesdienst. Wenn ich ihnen zuhörte, vergaß ich Zeit und Stunde.
Vielleicht hat es mit dieser Lust am Zuhören zu tun, dass ich auch früh die Gottesdienste liebte. Mit ihrer Musik und den vielen großen und schönen und seltsamen Worten, deren Sinn ich zunächst nicht verstand. Das Fremde, Geheimnisvolle faszinierte mich besonders. Ein Fest für meine Fantasie! Bis heute – ja heute mehr denn je! – zieht mich ausgerechnet das Fremde an, das Unerwartete, das Staunenswerte und Überraschende. Das verlockt mich zum Hören.
Das Wort, das wir in die Welt tragen, kommt immer fremd daher, anders, überraschend. Gerade in seiner Fremdheit wird es gehört; gerade weil es anders ist, weckt es Aufmerksamkeit.
Nichts langweiliger als das gedankenlos Geplapperte und einfach nur Richtige. Nichts belangloser als das zu Tode Erklärte. Nichts peinlicher als das zum Schämen Vereinfachte. Nichts frustrierender als die Unterforderung, die mir als Hörerin nichts zutraut und mir permanent ungefragt Hilfestellungen gibt.
Aus der Lust am Hören wuchs bei mir die Freude am Formulieren. Selber Worte finden, die aufhorchen lassen. Mit Sprache Bilder malen oder Gleichnisse wagen, Erlebtes in Geschichten kleiden, alt Vertrautes mit neuen Worten beschreiben, so dass es heilsam fremd wird. Sprache kann so viel – und ich traue ihr jede Menge zu. Sie reizt mich mit ihren überraschenden Möglichkeiten. Und sie fordert mich heraus. Das Arbeiten an und mit der Sprache ist wie ein Handwerk. Ein Handwerk, beseelt vom Leben, das im Wort des Anfangs war. Im Wort, das Leben schuf und selber Leben wurde, Mensch unter Menschen.
»Wir wohnten im Wort«, schreibt Rose Ausländer in einem ihrer Gedichte.
Und im Zusammenhang:
Am Anfang
war das Wort
und das Wort
war bei Gott.
Und Gott gab uns
das Wort
und wir wohnten
im Wort.
Und das Wort
ist unser Traum
und der Traum
ist unser Leben.
Ja, ich habe Lust daran, im Wort zu wohnen. Herberge zu nehmen darin. In seinem Raum zu leben und zu atmen, Fremdheit auszuhalten, Schönheit zu genießen, Wärme und Zartheit aufzunehmen, Weisung zu suchen. Und mitten darin eigene Worte zu finden, die das Wort nach draußen tragen.
Und wenn dadurch Menschen berührt werden, wenn so das Wort Gehör findet in der Gesellschaft, in trostlose Herzen fällt und in erwartungsvolle Hirne – dann ist das ein unverfügbares Geschenk. Ich nehme den Preis dankbar und mit Freude an – und weiß, an wen ich den Dank im stillen Kämmerlein weiterzugeben habe. Auf Erden wie in den Himmel.
Dabei bin ich so verwegen zu glauben: Die mich beschenkt haben, die meinerseits im stillen Kämmerlein Bedankten, die freuen sich heute mit.
Aus epd-Dokumentation 51/21 vom 21. Dezember 2021: Verleihung des ökumenischen Predigtpreises 2021 (17. November 2021, Namen-Jesu-Kirche Bonn)
24 Seiten / 3,60 €