«Wir wollen Menschen sichtbar machen»
Roma-Siedlung
Einige Roma-Siedlungen befinden sich an den Hängen oberhalb Sarajevos - fernab des öffentlichen Lebens.
Wie die Diakonie Roma in Bosnien zu ihren Rechten verhilft
Stuttgart/Sarajevo (epd)

An der steilen U-Kurve an den Gebirgshängen oberhalb Sarajewos ist Schluss. Weiter die unbefestigte Abzweigung hinauf will der Fahrer sein Taxi partout nicht steuern. «Dorthin würde Sie auch kein anderes Taxi bringen», erklärt er seinen Fahrgästen fast entschuldigend, während diese aussteigen, um den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen. Der Grund: Dort oben befindet sich eine Siedlung, in der ausschließlich Angehörige der Roma-Minderheit leben.

Es ist eine Parallel-, ja eine Schattenwelt. Müll und Unrat, wohin das Auge blickt. Autowracks, verrostete Waschmaschinen, vergammelte Matratzen. Hausruinen und -rohbauten, dazwischen streunende Hunde. In dieser kleinen Siedlung, deren Häuser einst mit Mitteln der Kommune errichtet wurden, die aber längst zu einer sogenannten «No-go-Area» geworden ist, leben zwischen 100 und 200 Roma. Genau weiß das niemand.

Eine von ihnen ist Selvije Kindaj. Sie ist 30 Jahre alt und hat bereits sechs Kinder. Ihr Lebenspartner hat einige Monate in Deutschland gelebt, ist dann nach Bosnien-Herzegowina zurückgekehrt. Mit ihren Sprösslingen - aufgestellt wie die Orgelpfeifen - stehen die beiden vor ihrem Haus. Eigentlich ist es eher ein Rohbau. Alles wirkt behelfsmäßig, chaotisch, unfertig. Sie schildern den Gästen aus Deutschland ihre Situation und hoffen vor allem auf finanzielle Unterstützung.

In Bosnien-Herzegowina - einem Teil des ehemaligen Jugoslawiens - leben 3,2 Millionen Menschen. 17 Volksgruppen sind offiziell als Minderheiten anerkannt, darunter auch Deutsche. Aber die mit Abstand größte Minderheit ist die der Roma. Deren Angehörige sind oft schlecht gebildet. Viele können weder lesen noch schreiben. An sich schon schlechte Voraussetzungen für jegliche Form gesellschaftlicher Teilhabe.

Seit 2015 gilt in dem kleinen Balkanland aber zudem ein umstrittenes Meldegesetz. Das trifft nicht nur, aber vor allem Roma. Lebt man nämlich in einem illegalen oder nicht offiziell genehmigten Gebäude, kann einem die Meldebescheinigung verweigert werden. Allein in Sarajewo mit seinen rund 300.000 Einwohnern leben Schätzungen des Völkerrechtlers Zlatan Begic von der Universität Tuzla zufolge 60.000 Menschen, die nicht unter der Adresse registriert sind, an der sie leben. Einige sind an anderen Adressen gemeldet, andere gar nicht. Ein Grund dafür: Mehr als 15.000 Häuser wurden nach dem Bosnien-Krieg von 1992 bis 1995 nicht wieder aufgebaut. Andere wurden illegal errichtet.

Behörden in Bosnien-Herzegowina können Nichtregierungsorganisationen zufolge die Ausstellung einer Meldebescheinigung verweigern, wenn Antragsteller keinen Eigentumsnachweis oder beglaubigten gültigen Mietvertrag vorlegen können. Das wiederum bedeutet: keine Meldebescheinigung - kein Personalausweis. Kein Personalausweis - keine Versicherung, keine Möglichkeit zu heiraten, Eigentum zu erwerben oder die Kinder in die Schule zu schicken. Ein Teufelskreis!

Helfen möchte der Verein «Pharos» - benannt nach dem Leuchtturm im antiken Alexandria. Unterstützt wird er maßgeblich vom Diakonischen Werk in Württemberg. Ingrid Halbritter, gebürtige Schwäbin, lebt und arbeitet seit 25 Jahren in Bosnien-Herzegowina und leitet den Verein vor Ort. Die 58-Jährige ist Idealistin. Zusammen mit ihren drei Kolleginnen berät sie vor allem Angehörige der Roma-Minderheit, begleitet sie zu Behördengängen, steht ihnen mit Rat und Tat zur Seite. «Viele von ihnen kennen ihre Rechte überhaupt nicht - auch weil sie vielfach nicht lesen und schreiben können», sagt sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). «Aber wer nicht gemeldet ist und keinen Ausweis hat, existiert offiziell nicht. Wir wollen diese Menschen sichtbar machen.» So engagiere sich der Verein etwa dafür, dass das Meldegesetz geändert werde, so Halbritter.

Ihrer Kollegin Velida Sahilovic liegen vor allem die Roma-Kinder am Herzen. «Allein Bildung kann diesen Kreislauf aus Armut und Unvermögen durchbrechen», sagt sie. Die Sozialarbeiterin ist Tag für Tag dort, wo es wehtut, nämlich in den Roma-Siedlungen rund um Sarajevo. «Das ist nicht immer schön», gibt sie zu. Auch weil die Gutmütigkeit von Helferinnen wie ihr - das berichtet auch Ingrid Halbritter aus eigener Erfahrung - mitunter ausgenutzt werde.

Aber es gebe eben auch Erfolgsgeschichten, die Hoffnung machten. Eine solche Erfolgsgeschichte bietet Selvije Kindaj, die 30-jährige sechsfache Mutter aus der Siedlung oberhalb Sarajevos. Aufgrund der Unterstützung des Vereins Pharos hat sie vor wenigen Monaten ihre offizielle Meldebescheinigung und damit verbunden ihren Personalausweis bekommen. Und: Drei ihrer sechs Kinder besuchen inzwischen die Schule.

 

Von Matthias Pankau (epd)