Jugendforscher: Jungwähler suchen "einfache Antworten"
Berlin, Halle (epd).

Der hallesche Jugendforscher Frank Greuel sieht im Wahlverhalten der Erst- und Jungwähler bei der Bundestagswahl am Sonntag eine Sehnsucht nach „einfachen Antworten“ auf drängende Krisen. „Die Klimakrise, die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, aber auch Fragen von Armut, sozialer Gerechtigkeit und Mietpreisen bewegen junge Menschen gerade sehr“, sagte Greuel dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das seien Kernthemen der Linkspartei gewesen, aber auch die AfD habe diese Themen angesprochen.

In der Wählergruppe der unter 25-Jährigen liegt die Linke mit 25 Prozent vor der AfD mit 21 Prozent. Bei der vorangegangenen Bundestagswahl 2021 hatten die Grünen (23 Prozent) und die FDP (21 Prozent) die Spitzenplätze belegt. Linke (8 Prozent) und AfD (7 Prozent) waren damals die Schlusslichter.

Greuel gibt zu bedenken, dass die Linke und die AfD zwar ähnliche Themen ansprechen, aber grundsätzlich unterschiedliche Antworten darauf geben: „Die AfD verknüpft einen Großteil der Alltagsprobleme mit Migration und verspricht, dass sich diese in Luft auflösen würden, sobald man die Einwanderung begrenze.“ Diese kurzen, schnellen und parolenartigen Inhalte funktionierten besonders gut auf Plattformen wie TikTok, auf denen die AfD sehr aktiv sei.

Aber auch die Linke habe mit Gruppenchefin und Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek erfolgreich Wahlkampf in den Sozialen Medien geführt. „Heidi Reichinnek ist jung, weiblich und bewegt sich auf TikTok - das sind Alleinstellungsmerkmale, die man sonst in der deutschen Politiklandschaft kaum findet“, erklärte Greuel, der am Deutschen Jugendinstitut zur Politisierung von Jugendlichen forscht. Allein diese Präsenz auf den Plattformen zeige den Jugendlichen, dass sie für wichtig gehalten werden und dass sich die Parteien um ihre Stimmen bemühen, sagte der Jugendforscher. Das sei eine Form der Wertschätzung, die junge Menschen im politischen Raum eher selten erfahren.

Die FDP ist in der Gunst der jungen Wählerinnen und Wähler von 21 auf 5 Prozent gesunken. 2021 habe die Partei bei Jugendlichen punkten können, weil sie als einzige demokratische Kraft die Corona-Maßnahmen deutlich kritisierte, sagte Greuel. Doch auf die drängenden Fragen der sozialen Gerechtigkeit, die junge Menschen derzeit umtreiben, biete die liberale Partei keine zufriedenstellenden Antworten. „Dass es keine Umverteilung brauche und die Wirtschaft schon alles regeln werde, sind Konzepte, die an der Lebensrealität der Jugendlichen vorbeigehen“, betonte Greuel. Gerade junge Menschen hätten noch kein großes Vermögen, stünden oftmals noch ganz am Anfang ihrer Berufskarriere und seien deshalb oft besonders vom Armutsrisiko betroffen.

epd-Gespräch: Lena Köpsell