Der lange Weg zum kirchengemäßen Tarifvertrag
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Der lange Weg zum kirchengemäßen Tarifvertrag
Gewerkschaft ver.di und Diakonie feiern zehn Jahre Tarifpartnerschaft
Hannover (epd).

Der Weg zur niedersächsischen Tarifpartnerschaft zwischen der Gewerkschaft ver.di und den diakonischen Arbeitgebern war ein zäher Ringkampf. Die Diakonie und die evangelische Kirche waren aus Furcht vor Streiks nicht bereit, auch nur einen Schritt vom kirchlichen Arbeitsrecht abzuweichen. Die Gewerkschaft ver.di drückte dagegen mit aller Macht, um mit am Verhandlungstisch zu sitzen, wenn es um Arbeitsbedingen und Gehälter etwa in der Pflege ging. Vor zehn Jahren gelang der Durchbruch, den beide Seiten am Donnerstag (19. September) in Hannover unter dem Motto „Faire Löhne für die Diakonie - So kann es gehen!“ gemeinsam feiern wollen.

Am 19. September 2014 unterzeichneten beide Seiten den ersten „kirchengemäßen Tarifvertrag“ für rund 37.000 Beschäftigte in diakonischen Unternehmen und Einrichtungen in Niedersachsen. Ein Abschluss mit historischer Bedeutung: Bis dahin wurden die Gehälter in der Diakonie auf dem sogenannten „Dritten Weg“ ausgehandelt. Dabei saßen ausschließlich Mitarbeitervertreter und Arbeitgeber in der paritätisch besetzten Arbeitsrechtlichen Kommission zusammen. Gewerkschaften hatten zu diesen Gesprächen keinen Zutritt.

2011 verließen die Mitarbeitervertreter die Kommission und forderten Tarifverträge, wie sie in anderen Branchen üblich sind. Es entbrannte ein ideologischer Streit, der sich vor allem am Streikrecht festmachte. Noch heute darf nach dem kirchlichen Arbeitsrecht weder gestreikt noch ausgesperrt werden. Die Arbeitnehmer sahen sich eines Arbeitskampfmittels beraubt. Kirchenvertreter bezeichneten dagegen den Dritten Weg als „unverzichtbar“.

Einen ersten Durchbruch erreichte ver.di mit einem Haustarifvertrag im Oldenburger Evangelischen Krankenhaus: Ärzte drohten wegen ausbleibenden Gehaltsverhandlungen mit Kündigungen, und gewerkschaftlich organisierte Pflegekräfte riefen immer wieder zu Warnstreiks auf, die als „aktive Mittagspause“ angekündigt wurden.

Im Dezember 2011 sah sich die Geschäftsführung gezwungen, direkt mit der Gewerkschaft ver.di zu verhandeln. Schon in der ersten Runde einigten sich beide Seiten. Der bundesweit erste Tarifvertrag zwischen einer diakonischen Einrichtung und der Gewerkschaft ver.di trat zum 1. Januar 2012 in Kraft. Die Gewerkschaftsfunktionärin für Kirchenfragen, Annette Klausing, jubelte: „Das ist der Dammbruch, auf den wir gewartet haben.“

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt bestätigte 2012 in einem Grundsatzurteil zwar das traditionelle kirchliche Arbeitsrecht, gestand zugleich aber den Gewerkschaften ein stärkeres Mitspracherecht zu. Daraufhin näherten sich in Niedersachsen beide Seiten in kleinen Schritten einander an, um sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen. Die Zauberformel lautete: „kirchenrechtlich legitimierte Tarifverträge“ oder kürzer „kirchengemäße Tarifverträge“.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) begrüßte damals den Abschluss und sagte, er hoffe auf Nachahmerinnen und Nachahmer. Auch die damalige Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) zollte beiden Seiten ihren Respekt. Doch blieb die erwartete bundesweite Kettenreaktion aus. In den meisten Bundesländern gilt weiterhin der Dritte Weg.

In Niedersachsen regelt der „TV-DN“ derzeit nach Angaben der diakonischen Dienstgeber für 240 diakonische Unternehmen und Einrichtungen in Niedersachsen die Arbeitsbedingungen und Gehälter der rund 44.000 Mitarbeitenden. „Kirchengemäß“ ist dieser Tarifweg, weil eine für die Tarifpartner verbindliche Schlichtungsvereinbarung besteht, die einen Arbeitskampf zulasten der Menschen, die auf die diakonischen Dienstleistungen angewiesen sind, ausschließt.

Von Jörg Nielsen (epd)