Zimt, "O du fröhliche" und ein Hauch von Nostalgie
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Weihnachtsstimmung
Was die Weihnachtsstimmung ausmacht: Auf der Spur eines Gefühls
Hannover, Lüneburg (epd).

Vor dem Hauptbahnhof in Hannover duftet es nach Zimt, nach gebrannten Mandeln und Glühwein. Zirkusdirektor Bernhard Paul geht zwischen den hölzernen Häusern des Roncalli Weihnachtsdorfes an geschmückten Tannenbäumen vorbei und deutet auf das historische Riesenrad. Es ist der Blickfang des Marktes, den der 77-Jährige und sein Team gestaltet haben: „Wir wollen eine möglichst perfekte Welt erschaffen“, sagt er: „Eine Inszenierung, die Gefühle hervorruft.“

Die Liebe zum Detail, sie ist Paul wichtig, wenn es darum geht, eine besondere Stimmung zu erzeugen, im Zirkus genauso wie in der Vorweihnachtszeit in der Stadt. Die Buden mit Kunsthandwerk sind zum Bahnhof hin aufgereiht wie ein Zug. Die Tannenbäume stammen aus nachhaltiger Forstwirtschaft, an die Bahnhofsfassade wird mehrmals täglich eine weihnachtliche Geschichte projiziert. „Die Weihnachtsstimmung ist wie ein Gesamtkunstwerk“, sagt der Roncalli-Chef. Dabei würden Kindheitserinnerungen geweckt und ein Hauch von Nostalgie werde heraufbeschworen.

Die Kieler Psychologin Svenja Lüthge hat eine weitere Erklärung dafür, dass rund um Weihnachten eine Gemütslage gleichsam viele Menschen ergreift. „Es kommt immer dann eine besondere Stimmung auf, wenn alle eine gemeinsame Vorfreude auf ein Ereignis haben“, erläutert sie. „Wir kennen das zum Beispiel von der Fußball-EM oder Weltmeisterschaft, vor allem wenn diese in Deutschland ausgerichtet werden. Alle fiebern darauf zu. Genauso ist es bei Weihnachten.“

An Heiligabend sind auch die Kirchen voll, wie sonst an keinem Tag im Jahr. Die Lüneburger Regionalbischöfin Marianne Gorka empfindet es als Privileg, dann auf die Kanzel zu treten und zu versuchen, in ihrer Predigt Spannungen und Emotionen aufzunehmen. „Da entsteht eine Resonanz“, sagt sie. Die Vorbereitungen in den Familien seien meist abgeschlossen und es werde allmählich besinnlich. „Es ist ein schönes Gefühl, wenn das anfängliche Gewusel sich legt und die große Menge an Menschen es schafft, zur Ruhe zu kommen.“

Festliche Chormusik, Bläser, das Weihnachtsoratorium - Musik gehört für die evangelische Theologin dazu. Die Lieder „O, Du fröhliche“ und „Stille Nacht“ sollten vorkommen, „auch wenn das kitschig sein mag“.

Jan Meyer wird in diesem Jahr wieder mit Tausenden Menschen in einem Fußballstadion in Hannover Weihnachtslieder anstimmen. Was die Weihnachtsstimmung musikalisch fördert, hätten amerikanische Musikwissenschaftler analysiert, sagt der Gospelkantor. Dazu zählten etwa eine Tonlage in Dur, ein Kinderchor oder vertraute Worte, im Englischen etwa „Santa“ oder „Christmas“. „Der Song muss natürlich von Michael Bublé gesungen werden“ fügt er lachend an. Doch Meyer hat auch eine eigene Formel: „Die Lieder müssen Erinnerungen wecken.“

Dasselbe gilt mit Blick auf das Essen, sagt die Fernseh-Köchin Zora Klipp. „Wenn der Duft aus dem Ofen mit einer leichten Zimtnote in der Luft liegt oder eine schöne Bratensoße gekocht wird, kommt bei mir das Gefühl auf, an Weihnachten ins Wohnzimmer meiner Großmutter zu treten.“ Die „Sonnenblumen-Kracher“, leckere Plätzchen, die ihre Oma backt, gehören für sie zum Fest dazu, erzählt die 34-Jährige, die im niedersächsischen Zeven aufgewachsen ist.

Bei allem Traditionsbewusstsein sieht Klipp jedoch einen allmählichen Wandel. In ihrem vegetarischen Restaurant „Blattgold“ in Hamburg interpretiert sie weihnachtliche Aromen fleischlos und ist damit nicht allein: „Ich bekomme superviele E-Mails von Menschen, die Tipps möchten, weil die Enkel zu Besuch kommen oder die Kinder und die kein Fleisch essen.“

Um wohlige Gefühle zu wecken, muss das Essen nicht üppig sein, sagt Bernhard Paul mit Blick auf seine eigene Kindheit: „Bei uns zu Hause war das Weihnachtsessen toll, obwohl wir arme Leute waren“, erzählt der österreichische Zirkusdirektor. „Heiligabend gab es immer einen Aufschnitt: Das waren ein paar Wurstsorten, ein paar Essiggurken, hartgekochte Eier, Butterbrot und Tee.“ Der Schweinsbraten mit Knödeln war dann für den ersten Weihnachtstag reserviert. Für Paul ist Weihnachten vor allem ein Familienfest.

In der dunklen Zeit zum Ende des Jahres gehört zur Weihnachtsstimmung nach Ansicht der Psychologin Svenja Lüthge auch ein Innehalten. Sie erzählt von einer alten Tradition, die den indigenen Völkern Nordamerikas zugesprochen werde: „Wenn sie mit den Pferden unterwegs waren, haben sie immer mal wieder angehalten“, sagt Lüthge. „Sie haben angehalten, damit die Seele hinterherkommt. Weil sie mit dem Pferd schneller unterwegs waren als zu Fuß.“

Nach dem Gottesdienst, in dem die Weihnachtsgeschichte von der Geburt Jesu im Mittelpunkt steht, liebt es die Lüneburger Regionalbischöfin Marianne Gorka, wenn sie unter dem Glockengeläut raus in die Nacht geht. Das sei ein besonderer Klang, sagt sie: „Ich trete dann gestärkt in die neue Zeit.“

Von Karen Miether (epd)