Forscherin: Diakonie gibt psychisch belasteten Familien neue Identität
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Gabriela Zink

Durch das Angebot „LebensRäume“ der Diakonie München und Oberbayern für psychisch stark belastete Familien lernen die Eltern und ihre Kinder, „dass sie mehr können, als nur problembeladen und krank zu sein“, urteilt die Sozialwissenschaftlerin Gabriela Zink. Die Erwachsenen bauten als Eltern Selbstvertrauen auf, sagte die Münchner Forscherin im Interview mit epd sozial.

München (epd). Die Diakonie in München bietet seit mehr als zehn Jahren Familien, die durch ein psychisch krankes Elternteil belastet sind, kostenlose Begleitung an. Im Haus „LebensRäume“ in Pasing, können die betroffenen Familien entspannen, gemeinsam etwas unternehmen und sich auf neue Weise erfahren. Die Münchner Sozialwissenschaftlerin Gabriela Zink hat das sozialpädagogische Angebot untersucht und stellt fest: „Die LebensRäume helfen, eine positive Identität als Vater oder Mutter und als ganze Familie zu gewinnen.“ Die Fragen stellte Markus Jantzer.

epd sozial: Sie haben das Angebot „LebensRäume“ der Diakonie München wissenschaftlich untersucht. Was sind die wichtigsten Ergebnisse?

Gabriela Zink: Aus den Interviews mit den Eltern und den Fachkräften der LebensRäume ging Folgendes hervor: Die Eltern schätzen es, dass sie hier unkompliziert Gelegenheit haben, Familie zu leben, also mit den Kindern etwas zu unternehmen, zum Beispiel zusammen im Garten zu arbeiten, gemeinsam zu kochen und zu essen, kreative Projekte mit den Kindern und anderen Eltern umzusetzen oder Ausflüge am Wochenende zu machen. Gleichzeitig werden sie von den Fachkräften als Eltern, als Familie wahrgenommen und gestärkt. Aber auch kritische Seiten werden angesprochen und gemeinsam besprochen. Die Eltern finden, es tut den Kindern gut, über die Krankheit und ihren Krisen zu sprechen und von den Fachkräften beraten zu werden. Eine Mutter formulierte es so: „Meine Kinder wissen jetzt, was mit mir los ist, und dass sie nicht schuld sind“.

epd: Wie profitieren die Kinder und Jugendlichen?

Zink: Die Kinder und Jugendlichen erkennen, dass sie nicht allein sind mit den Herausforderungen, die mit psychischer Erkrankung der Eltern einhergehen. Es stärkt sie, in den LebensRäumen mit anderen einfach Spaß zu haben. Die Eltern-Kind-Beziehungen verbessern sich im Lauf der Zeit durch die Hilfen LebensRäume erheblich. Erziehungskompetenzen werden gestärkt. Die Kinder erleben ihre Eltern anders als zu Hause: Die Eltern knüpfen Kontakt zu anderen Eltern, zeigen häufig in der Gemeinschaft ganz andere Seiten ihrer Persönlichkeit. Das erstaunt die Kinder häufig und bereichert ihr Bild von den Eltern.

epd: Wie sind Sie bei Ihrer zweijährigen Studie vorgegangen?

Zink: Im Sommersemester 2023 habe ich die Forschungsaktivitäten in den LebensRäumen begonnen. Mit Studierenden eines Master-Studiengangs in der Sozialen Arbeit an der International University München IU und mit Studierenden des Bachelors „Bildung und Erziehung im Kindesalter“ der Hochschule München haben wir zentrale Daten zu den Lebenslagen der Familien aus den seit zehn Jahren dokumentierten Eingangsgesprächen mit den Eltern analysiert. Es fanden Interviews mit ausgewählten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu ihren Arbeitsweisen, den Angeboten und den Erfahrungen statt. Von Kennerinnen und Kennern des Münchner Hilfenetzwerks wollten wir wissen, welche Rolle Angebote wie die LebensRäume innerhalb der Angebotslandschaft innehaben und wo die Grenzen liegen. Und wir haben Eltern in Interviews zu ihren Erfahrungen mit den Angeboten und den Wirkungen auf die Kinder und sie selbst befragt. Noch nicht abgeschlossen ist unsere Erhebung zu den Netzwerken der Eltern wie Freunde, Bekannte, Nachbarn, Fachkräfte im Gesundheits- und Sozialsystem.

epd: Sie lobten die LebensRäume auf einer Fachtagung kürzlich als „einzigartig“? Was ist das Besondere

Zink: Während die Zahl der Eltern mit einer psychischen Erkrankung zunimmt und mehr Kinder davon betroffen sind, gibt es nur wenige Angebote in der psychosozialen Arbeit, die sich an die ganze Familie richten und die Eltern im Familienalltag und bei den Beziehungs- und Erziehungsaufgaben entlasten. Auch die Kinder und Jugendlichen und ihre Bedürfnisse nach Austausch und schönen Erlebnissen werden häufig nicht umfassend adressiert. Vielfach richten sich diese Angebote kursförmig entweder an die erkrankten Elternteile oder eben an die Kinder. Das Konzept und die Arbeitsweisen der LebensRäume füllen diese Lücke in der Angebotslandschaft.

epd: Was unterscheidet die LebensRäume von anderen Angeboten?

Zink: Die Räume sind sowohl für Erwachsene wie für Kinder und Jugendliche ansprechend gestaltet. In diesen wie auch im großzügigen und gemeinsam bepflanzten und gestalteten Garten finden Angebote entweder für die ganze Familie oder für die Erwachsenen oder die Kinder und Jugendlichen statt. Die Familien können zu den Öffnungszeiten - auch am Wochenende - kommen, Übernachtungen sind nicht möglich. Oft wird gemeinsam gekocht und an einem großen Tisch gegessen. Es ist auch möglich, nach längeren Aufenthalten von Eltern in der Psychiatrie oder in akuten Krisen einfach nur da zu sein mit dem Kind oder den Kindern. Denn zu Hause allein mit den Kindern zu sein, ist in solchen Situationen oft schwierig. Die gut ausgebildeten sozialpädagogischen und therapeutischen Fachkräfte bieten ihre Begleitung an und bauen Brücken hin zu anderen Unterstützungsleistungen, die den Alltag erleichtern und Krisen abfedern.

epd: Wie bewerten Sie die Erfolge der LebensRäume?

Zink: Ein zentraler Erfolgsbaustein liegt im problemlosen Zugang der Familien zu den LebensRäumen. Zwar wird ein Eingangsgespräch geführt, aber es ist kein Überweisungsschein, keine klare Diagnose nötig. Die Familien können die Angebote nutzen, bis die Kinder 18 Jahre alt sind. Spätestens dann werden sie mit einem liebevollen Ritual verabschiedet. Der Erfolg wird über das Vertrauen der Eltern und Kinder in die Fachkräfte und durch die Unterstützung der Eltern in ihrem Eltern-Sein und ihrem Alltag gewährleistet. Die LebensRäume sind nicht allein auf die Erkrankung der Eltern und die Folgen für die Kinder ausgerichtet, sondern stärken die Eltern-Kind-Beziehung, helfen, eine positive Identität als Vater oder Mutter und als ganze Familie zu gewinnen.

epd: Wie könnten die LebensRäume noch erfolgreicher sein?

Zink: Einige finanzielle Mittel müssen mühsam über Stiftungen und Social Sponsoring Jahr für Jahr eingeworben werden. Das bindet einiges an Arbeitskraft. Wünschenswert wäre eine dauerhafte, umfassende und stabile Sicherung der finanziellen Mittel. Wünschenswert wären darüber hinaus Kapazitäten, um Vernetzung und Kooperation mit Kliniken, Psychiatern, Jugendzentren und Kitas auszubauen. Das Angebot der LebensRäume füllt eine Lücke in der Angebotslandschaft, aber es ist ein Solitär. Auch in anderen Stadtteilen Münchens wäre ein solches Angebot sinnvoll, um betroffenen Eltern und ihren Kindern lange Wege zu ersparen.