Headset: Vorgesetzte dürfen Mitarbeiter nicht belauschen
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Bundesarbeitsgericht

Arbeitgeber haben ein Interesse an der Überwachung der Leistung ihrer Mitarbeiter. Nehmen sie dazu „technische“ Mittel in Anspruch, ist das mitbestimmungspflichtig, entschied das Bundesarbeitsgericht. Das sei auch bei der Einführung eines Headset-Systems zu beachten.

Erfurt (epd). Arbeitgeber dürfen die Leistung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht einfach ohne Zustimmung des Betriebsrats mit technischen Mitteln überwachen. Schreibt der Arbeitgeber die Nutzung von Headsets für die Kommunikation im Betrieb vor, ist die Einführung dieser „technischen Einrichtung“ mitbestimmungspflichtig, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem am 14. November veröffentlichten Beschluss. Denn ein solches Headset-System sei „zur Überwachung der Arbeitnehmer bestimmt“ und könne deren Persönlichkeitsrecht verletzen, befanden die Erfurter Richter.

Konkret ging es um den Bekleidungskonzern Primark, dessen Muttergesellschaft ihren Sitz im irischen Dublin hat. In Deutschland werden zahlreiche Filialen unterhalten, darunter auch eine in Sachsen mit mehr als 200 Arbeitnehmern.

Gespräche nicht aufgezeichnet

Im Jahr 2021 vereinbarte die Muttergesellschaft mit dem Gesamtbetriebsrat, dass in den einzelnen Filialen ein Großteil der Arbeitnehmer, auch die Vorgesetzten, Headsets tragen sollten, etwa im Kassenbereich. Auf diese Weise sollten die Beschäftigten miteinander kommunizieren können. Eine spezielle Software steuerte die Headsets über ein beim Mutterkonzern eingerichtetes Internetportal. Das System zeichnet weder die Gespräche der Mitarbeitenden auf noch registriert es, wer ein Headset benutzt.

Der Betriebsrat der sächsischen Filiale sah sein Mitbestimmungsrecht verletzt, weil der Arbeitgeber ihn bei der Einführung des Headset-Systems nicht um Zustimmung gebeten habe. Er berief sich auf das Betriebsverfassungsgesetz, wonach die Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, mitbestimmungspflichtig ist. Das gelte, soweit nicht durch Gesetz oder Tarifvertrag etwas anderes bestimmt sei. Das Headset-System sei hier als „technische Einrichtung“ zur Überwachung anzusehen, so die Arbeitnehmervertretung.

BAG wies Klage aus formalen Gründen ab

Das BAG stimmte dem zwar im Grundsatz zu, wies den Betriebsrat aber aus formalen Gründen ab. Dennoch handele es sich bei dem Headset-System um eine mitbestimmungspflichtige „technische Einrichtung“ zur Überwachung der Arbeitnehmer.

„Das Mitbestimmungsrecht ist darauf gerichtet, Arbeitnehmer vor Beeinträchtigungen ihres Persönlichkeitsrechts durch den Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen zu bewahren, die nicht durch schützenswerte Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt und unverhältnismäßig sind“, erklärte das BAG. Die Einbindung des Arbeitnehmers in „eine von ihm nicht beeinflussbare Überwachungstechnik“ könne zu einer erhöhten Abhängigkeit führen und „die freie Entfaltung der Persönlichkeit beeinträchtigen“, befand das Gericht.

Zwar würden die Gespräche nicht aufgezeichnet oder gespeichert. Auch sei nicht vorgeschrieben, welcher Mitarbeiter welches Headset zu benutzen habe. Allerdings könnten Vorgesetzte jederzeit mithören und einzelne Arbeitnehmer identifizieren. Das führe dazu, dass die Arbeitnehmer einem „ständigen Überwachungsdruck“ ausgesetzt seien. Hier müsse der Betriebsrat mitbestimmen können.

Gesamtbetriebsrat ist zuständig

Die Beschwerde des Betriebsrats hatte jedoch keinen Erfolg, weil nicht er, sondern der Gesamtbetriebsrat für die Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte zuständig gewesen sei, so das BAG.

Bereits am 8. März 2022 hatten die obersten Arbeitsrichter entschieden, dass auch die zentral gesteuerte Anwendung der Microsoft-Software „Office 365“ mitbestimmungspflichtig ist. Die bei der Nutzung der Software erstellten und erhobenen Daten, die in einer einheitlichen Cloud gespeichert werden, könnten zur Überwachung der Leistung des Arbeitnehmers genutzt werden.

Selbst bei einem Facebook-Firmenauftritt kann der Betriebsrat mitbestimmen. Zwar sei der Außenauftritt eines Unternehmens im Internet grundsätzlich nicht mitbestimmungspflichtig, entschied das BAG am 13. Dezember 2016. Könnten aber Besucher auf der Facebook-Seite des Unternehmens Kommentare über die Leistung oder das Verhalten einzelner Beschäftigter abgeben und werden diese unmittelbar veröffentlicht, müsse dem der Betriebsrat zustimmen. Denn solch eine Kommentarfunktion zu einzelnen Mitarbeitern führe zu einer Überwachung von Arbeitnehmern durch eine technische Einrichtung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes.

Nicht mitbestimmungspflichtig ist es dagegen, wenn Kunden eines Einzelhandelsunternehmens über eine Smartphone-App - vergleichbar mit einem E-Mail-Postfach - ein Kundenfeedback zu einer Filiale abgeben können. Werden im Rahmen des Kundenfeedbacks keine personenbezogenen Daten der Mitarbeiter erhoben und ausgewertet, liegt keine mitbestimmungspflichtige Überwachung vor, entschied das Arbeitsgericht Heilbronn am 8. Juni 2017.

Az.: 1 ABR 16/23 (Bundesarbeitsgericht, Headset)

Az.: 1 ABR 20/21 (Bundesarbeitsgericht, Office 365)

Az.: 1 ABR 7/15 (Bundesarbeitsgericht, Facebook)

Az.: 8 BV 6/16 (Arbeitsgericht Heilbronn)

Frank Leth