Gewalt gegen Frauen nimmt zu. 360 Frauen und Mädchen wurden 2023 bei Femiziden getötet. Familienministerin Paus hofft, noch vor der absehbaren Neuwahl eine Verbesserung der Hilfen für bedrohte Frauen zu erreichen. Das sei unbedingt nötig, fordern Sozialverbände mit Nachdruck.
Berlin (epd). Straftaten und Gewalt gegen Frauen haben im vergangenen Jahr zugenommen. Wie aus dem am 19. November in Berlin vorgestellten ersten Lagebild des Bundeskriminalamts (BKA) zu gegen Frauen gerichtete Straftaten hervorgeht, sind in nahezu allen Deliktbereichen deutliche Anstiege zu verzeichnen. So wurden 2023 mehr als 52.000 Frauen oder Mädchen Opfer von Sexualstraftaten wie Vergewaltigung, sexueller Belästigung und Nötigung. Das waren rund 3.000 beziehungsweise 6,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Mehr als die Hälfte der Opfer waren jünger als 18 Jahre, wie BKA-Vizepräsident Michael Kretschmer sagte. Im Bereich häuslicher Gewalt wurden mehr als 180.000 weibliche Opfer gezählt, ein Plus von 5,6 Prozent. 938 Mädchen und Frauen wurden Opfer von Tötungsversuchen, 360 von ihnen starben. Damit habe es fast jeden Tag einen Femizid gegeben, sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Das Lagebild zeige, wie alltäglich Gewalt gegen Frauen sei, sagte Familienministerin Lisa Paus (Grüne).
Digitale Gewalt gegen Frauen nimmt zu
Besonders stark war dem Lagebild zufolge im vergangenen Jahr der Anstieg bei gegen Frauen gerichtete digitale Gewalt. 17.193 Opfer wurden 2023 registriert, 25 Prozent mehr als im Jahr davor. Mehr als 62 Prozent der Opfer digitaler Gewalt sind der Statistik zufolge weiblich. Die überwiegende Mehrzahl der Straftaten in diesem Bereich sind Nötigungen, Bedrohungen und Stalking. Bei minderjährigen Opfern geht es bei digitaler Gewalt mehrheitlich um Missbrauchsstraftaten.
Stark gestiegen ist 2023 dem Bundeskriminalamt zufolge auch die Zahl sogenannter Hasskriminalität gegen Frauen. Gemeint sind damit Straftaten, die dezidiert frauenfeindlich motiviert sind. 322 solcher Taten wurden im vergangenen Jahr registriert. Das waren 56,3 Prozent mehr als 2022. In 29 dieser Fälle ging es 2023 um Gewaltstraftaten - eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr.
Zwei Gesetze in Vorbereitung
Paus will einen Rechtsanspruch auf Hilfe und Beratung für Frauen, die Opfer von Gewalt werden. Dazu müssen bisherige Angebote ausgebaut werden. Paus zufolge gibt es bundesweit rund 350 Frauenhäuser, 100 Schutzwohnungen und 600 Beratungsstellen. Das reiche nicht aus, sagte sie. Künftig soll der Bund deswegen unter anderem Frauenhäuser mitfinanzieren. In der kommenden Woche soll das Gesetz durchs Kabinett gehen. Danach hofft Paus auf Unterstützung der Union, um im Bundestag eine Mehrheit zusammenzubekommen.
Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Günter Krings (CDU), gab diese Zusage am 19. November nicht. Er warf der Ampel vor, bislang „nichts Greifbares“ beschlossen zu haben und verwies auf einen im Sommer von der Unionsfraktion eingebrachten Gesetzentwurf, der unter anderem zum Ziel hat, Gewalt gegen Frauen härter zu bestrafen und die elektronische Fußfessel einzusetzen, um Gewalttäter von bedrohten Frauen fernzuhalten.
Für die Fußfessel wirbt auch Innenministerin Faeser. Sie wollte sie durch ein Gewaltschutzgesetz ermöglichen, das auch verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Gewalttäter vorschreibt. Auch hier ist offen, ob die Regelung noch in den nächsten Monaten kommt.
Frauenrat für schnelle Lösung im Bundestag
Sylvia Haller, Vorstandsfrau des Deutschen Frauenrats, sagte: „Die Daten müssen ein Weckruf an alle demokratischen Parteien sein, um jetzt massiv in Gewaltschutz für alle und in Gewaltprävention zu investieren und dies gesetzlich abzusichern. Der Bundestag ist jetzt gefragt, umgehend eine Lösung zu finden - ohne wahlkämpferisches Taktieren.“
Yvonne Fritz, Vorständin SkF Gesamtverein, sagte, es sei höchste Zeit, „dass ein Gewalthilfegesetz verabschiedet wird, das klare Standards für Schutz und Hilfe für Betroffene schafft und deren Finanzierung sichert.“ Sie rief die Politik auf, die Umsetzung eines Gewalthilfegesetzes auf die Prioritätenliste zu setzen. „Ziel muss es sein, ein flächendeckendes und verlässlich finanziertes Netz aus Frauenhäusern, Fachberatungsstellen und Notrufangeboten zu garantieren.“
Die Frauenhauskoordinierung (FHK) rief die Abgeordneten im Bundestag ebenfalls auf, das Gewalthilfegesetz zum Schutz gewaltbetroffener Frauen und Kinder noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen. „Das über Jahre in Verhandlungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen vorbereitete Gesetz droht aktuell mit dem Bruch der Regierungskoalition zu scheitern“, sagte Christiane Völz, die Vorstandsvorsitzende der FHK.
AWO: Schutz und Beratung müssen kostenfrei sein
Claudia Mandrysch, Vorständin des AWO-Bundesverbandes, sagte, die Finanzierung von Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen müsse umgehend auf solide finanzielle Füße gestellt werden. „Schutz vor Bedrohung und Gewalt sowie Beratung müssen kostenfrei, zu jeder Zeit und ohne bürokratische Hürden überall in Deutschland erreichbar sein.“ Die finanzielle Situation in vielen Frauenhäusern, Fachberatungsstellen für häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt oder Interventionsstellen sei seit Jahren vielerorts prekär. „Auch die Arbeiterwohlfahrt musste bereits zwei Frauenhäuser im ländlichen Raum schließen, weil eine kostendeckende Refinanzierung fehlt.“ Das müsse jetzt beendet werden, um die steigenden Gewaltzahlen stoppen zu können, so Mandrysch abschließend.
„Das Gewalthilfegesetz sollte als ein erster Schritt in die richtige Richtung unbedingt schnellstmöglich beschlossen werden“, forderte auch Verena Bentele, die Chefin des VdK. Betroffene Frauen könnten nicht länger auf passende Hilfsangebote warten. „Die Zeit drängt. Damit das Gesetz schnell verabschiedet werden kann, müssen alle demokratischen Fraktionen im Bundestag jetzt zusammenarbeiten.“