Kein Kuchen mehr im Café
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Viele Rentner leben an der Armutsgrenze

Auch wenn die Inflation zurückgegangen ist, bleiben Lebensmittel und Gastronomie teurer als noch vor zwei Jahren. Besonders bemerkbar macht sich die Teuerung für Senioren, von denen viele nur wenig Geld im Portemonnaie haben.

München (epd). Verena Bentele, Vorsitzende des Sozialverbands VdK, warnt: „Rentnerinnen und Rentner, die nur wenig Geld zur Verfügung haben, kommen angesichts der hohen Lebensmittelpreise an ihre Grenzen. Eine gesunde Ernährung ist kaum möglich, viele sind froh, wenn sie am Ende des Monats überhaupt noch etwas Warmes auf dem Teller haben.“

Zu dieser Gruppe gehört auch Siglinde Baier (Name geändert). Die 79-Jährige wohnt in München-Waldtrudering. Für ihre Zweizimmerwohnung mit einer Fläche von 52 Quadratmetern zahlt sie 900 Euro warm. Ihre Rente aber beträgt nur 1.233 Euro. Sie leidet seit Jahrzehnten an Multipler Sklerose und wurde früh arbeitsunfähig. Mit den Bezügen aus der Grundsicherung im Alter, der Sozialhilfe für Senioren, hat sie lediglich rund 550 Euro pro Monat zum Leben.

4,2 Millionen Rentner von Armut betroffen

Altersarmut ist ein nicht zu übersehendes Phänomen. 4,2 Millionen Rentner sind in Deutschland betroffen und noch viel mehr sind von Altersarmut bedroht. 13,3 Millionen Senioren bekommen eine Bruttorente von unter 1.200 Euro, berichtet der Paritätische Wohnfahrtsverband.

„Bevor ich einkaufen gehe“, sagt Rentnerin Baier, „schaue ich mir genau die Sonderangebote der Supermärkte in der Umgebung an“. Sie sei auf Schnäppchen angewiesen. Die Teuerungen bemerkt sie seit etwa zwei Jahren. Neulich hat sie sich über den Butterpreis gewundert: 2,33 Euro habe sie für ein halbes Pfund bezahlt: „Dabei war das doch schon ein Sonderangebot.“

„Rekordpreis: Butter ist so teuer wie nie“, titelte dann Anfang Oktober auch der Bayerische Rundfunk. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes in Bayern zahlten die Verbraucher im August 2024 für das Streichfett 41 Prozent mehr als 2020. Ein geringes Angebot treffe auf rege Nachfrage, auch bedingt durch das anlaufende Weihnachtsgeschäft bei Backwaren. Außerdem gebe es immer weniger Milchkühe im Land - und der Import sei zurückgegangen, lautet die Erklärung für die Teuerung.

Ukraine-Krieg treibt Preise nach oben

Ursächlich verantwortlich für die allgemeine Preissteigerung ist der Krieg in der Ukraine. So stieg nach Angabe des Statistischen Bundesamts von Dezember 2021 zu Dezember 2022 der Preis von Sonnenblumenöl um 77,5 Prozent, von Zucker um 65 Prozent und von Käse und Quark um 39,9 Prozent.

Das schlägt sich auch in Bäckereien und Konditoreien nieder. Für Siglinde Baier ist deshalb klar: „Ich verkneife mir den Kuchen.“ Stattdessen brüht sie sich den Kaffee zu Hause auf und backt selber. „Für das, was ich im Café zahle, kann ich mir ein ganzes Päckchen Kaffee kaufen“, so ihre Rechnung. Überhaupt: Essengehen ist für die Rentnerin weitgehend tabu: „Das mache ich nur noch ganz, ganz selten.“

Dass es in Cafés und Restaurants teurer geworden ist, bestätigt auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Eine Umfrage des Verbands unter seinen Mitgliedern ergab für das erste Quartal 2024 nicht nur teurere Lebensmittel (plus 16,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal) und Getränke (plus 12,2 Prozent). Auch Dienstleistungen hätten sich verteuert. Das Personal erhalte im Schnitt 13,9 Prozent mehr Geld. Und auch Verpächter verlangten 6,4 Prozent mehr.

Immer auf der Suche nach Rabatten

Die Zahl der Kunden der Tafeln steigt. Siglinde Baier allerdings mache davon keinen Gebrauch, berichtet sie. Dafür sieht sie sich im Supermarkt nach reduzierten Waren um, deren Haltbarkeit kurz vor dem Ablauf steht: „Da gibt es 30 Prozent Rabatt“, weiß die Rentnerin. Und sie wird vom Verein „Ein Herz für Rentner“ unterstützt, etwa wenn besondere Ausgaben anstehen.

Der Verein hilft seit 2016 bundesweit bedürftigen Senioren. „Manche haben am 20. des Monats noch zehn Euro im Geldbeutel, das reicht nicht für Medikamente oder Lebensmittel“, weiß Vorständin Sandra Bisping. Die Teuerungen bei Lebensmitteln treffe die Bezieher der Grundsicherung im Alter schwer. Der Verein hilft mit Lebensmittelgutscheinen oder auch einer Obst- und Gemüsebox, die alle zwei Wochen geliefert wird. Und er vermittelt Patenschaften von Spenderinnen und Spendern. Dadurch werden Bedürftige mit 38 Euro im Monat finanziell unterstützt.

Ihre Freundinnen seien ebenso entsetzt über die Preise wie sie selbst, berichtet Siglinde Baier. Mit ihren Nachbarn unterhalte sie sich nicht über die Teuerung: „Die wissen nicht, dass ich wenig Geld habe.“ Besonders wurme sie, dass die Rentenerhöhungen von der Grundsicherung aufgesogen würden. Sie denke daran, eine Unterschriftenliste zu organisieren. Gegen die Teuerungen und für eine gerechte Rente.

Rudolf Stumberger