Die Hilfs- und Schutzangebote für Frauen sind unzureichend. Ein Gesetz der rot-grünen Rest-Regierung soll das ändern. Aber es kommt vermutlich zu spät. Unterdessen forderte eine breite Öffentlichkeit Regierung und Bundestag auf, die Gesetze für mehr Schutz und Hilfe noch zu beschließen.
Berlin (epd). Mehrere Hilfsorganisationen und Verbände appellieren an die Politik, das Gewalthilfegesetz noch vor den Neuwahlen zum Bundestag im Februar zu beschließen. Die Geschäftsführerin des Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, Katja Grieger, sagte: Wir brauchen dieses Gesetz dringend. Grieger erklärte, keine Beratungsstelle sei „bisher gesetzlich abgesichert. Die könnten alle je nach politischer Mehrheit und Haushaltslage morgen wieder weg sein.“ In Frauenhäusern gebe es viel zu wenige Schutzplätze. In den Beratungsstellen müssten von Gewalt betroffene Frauen oft wochenlang auf Termine warten, nötig seien dreimal so viele Beratungskapazitäten wie aktuell vorhanden.
Grieger schätzte, dass lediglich jede zehnte Gewalttat gegen Frauen bei der Polizei angezeigt werde. Schon am 25. November, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, hatte ein breites Bündnis einen Brandbrief an Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) übergeben.
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, forderte die Union auf, das geplante Gewalthilfegesetz zu unterstützen. Mast sagte dem epd: „Das Gewalthilfegesetz zum Schutz von Frauen muss kommen. Friedrich Merz und die Union müssen jetzt Farbe bekennen.“ Es wäre ein fatales Zeichen, wenn nicht gehandelt werde, erklärte Mast angesichts der steigenden Zahlen von Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen: „Das Thema Gewalt gegen Frauen braucht gerade jetzt eine deutliche, auch politische Antwort.“
Die Fraktion der Linken im Bundestag erklärte, das Gesetz unterstützen zu wollen, forderte aber Nachbesserungen. Es brauche ein Sofortprogramm von mindestens 500 Millionen Euro, erklärte Linken-Vorsitzende Ines Schwerdtner. Zudem müsse der Aufenthalt in Frauenhäusern für Betroffene kostenlos werden.
Union müsste zustimmen
Die Bundesregierung will noch vor den Neuwahlen die künftige Finanzierung von Frauenhäusern in Deutschland neu regeln. Das Kabinett brachte am 27. November in Berlin den Entwurf von Paus für ein Gewalthilfegesetz auf den Weg. Danach soll ein individueller Rechtsanspruch auf Beratung und Hilfe eingeführt werden. Von 2027 an will der Bund in die Finanzierung einsteigen. In Deutschland fehlen Tausende von Frauenhausplätzen.
Die Union müsste dem Gesetzentwurf zustimmen, da die rot-grüne Regierung nach dem Ampel-Aus keine eigene Mehrheit mehr hat. Die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Silvia Breher (CDU) hat hingegen bereits mehrfach erklärt, sie halte es allein zeitlich nicht für machbar, das Gesetz bis zu den Neuwahlen durch Bundestag und Bundesrat zu bringen. Die Union will indes ebenfalls den Gewaltschutz verbessern und hat einen eigenen Antrag vorgelegt. Breher wirft der Koalition vor, das Gesetz nicht rechtzeitig zustande gebracht zu haben und nun die Opposition unter Druck setzen zu wollen.
Länder und Kommunen finanzieren Frauenhäuser je nach Bundesland zu unterschiedlichen Anteilen. Der Bund gibt Zuschüsse. Die gescheiterte Ampel-Koalition wollte mit dem Gewalthilfegesetz den Bund zur verlässlichen Mitfinanzierung der Frauenhäuser verpflichten. Es soll ein Rechtsanspruch auf Beratung und Schutz eingeführt werden. In der Folge müssten mehr Schutzplätze eingerichtet werden, Länder sollen dem Entwurf zufolge verpflichtet werden, ein ausreichendes Angebot an Schutzplätzen und Beratungsstellen bereitzuhalten. Dafür sollen bis einschließlich 2036 rund 2,6 Milliarden Euro an Bundesmitteln fließen.
Heute finanzieren Länder und Kommunen die Hilfen, der Bund gibt nur Zuschüsse. Für die Frauen und andere Betroffene sollen die Leistungen künftig kostenfrei sein. In den meisten Bundesländern müssen Frauen bisher für ihren Aufenthalt im Frauenhaus eine Zuzahlung leisten. Das Gesetz sieht außerdem mehr Beratungsangebote, Prävention und Aufklärung vor.
Appelle an Abgeordnete
UN Women Deutschland und der Deutsche Frauenrat forderten in dem Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Familienministerin Paus und Finanzminister Jörg Kukies (SPD), das Gewalthilfegesetz noch zu verabschieden. Es fehlten Tausende Frauenhausplätze, Beratungsstellen seien überlastet und die Wartezeiten unerträglich lang, schreiben die Initiatorinnen, die von zahlreichen Verbänden und Prominenten unterstützt werden.
Die Diakonie Deutschland appellierte an alle Abgeordneten, das Gewalthilfegesetz im Bundestag nicht zu blockieren. Vorständin Maria Loheide erklärte, nur mit einem bundeseinheitlichen Rechtsrahmen sei eine verlässliche Finanzierung der Frauenhäuser sicherzustellen. Zugleich müssten Ursachen der Gewalt gegen Frauen bekämpft werden.
Der Bundesgeschäftsführer der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie (eaf), Andreas Zieske, bezeichnete es als dramatisch, dass mit dem vorzeitigen Ende der Ampel-Koalition die Chancen auf eine Verbesserung des Gewaltschutzes geschwunden seien. Ähnlich äußerten sich die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), der Deutsche Verein, in dem sämtliche Akteure in der Sozialpolitik und sozialen Arbeit organisiert sind, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, die auf die besonders schwierige Lage geflüchteter Frauen hinwies.
Der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) forderte alle politischen Entscheidungsträger auf, ein Gewalthilfegesetz zu verabschieden und häusliche Gewalt wirksam zu bekämpfen. AWO-Präsidentin Kathrin Sonnenholzner sagte, um diese Gewalt zu stoppen, müssten Schutz, Beratung und Intervention gestärkt werden. Außerdem sollten Anforderungen aus dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt und der EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt erfüllt werden. „Deutschland ist in der Pflicht, seinen gesetzlichen und menschenrechtlichen Verpflichtungen dringend nachzukommen“, sagte Sonnenholzner.
Steigende Fallzahlen
Paus sagte nach dem Kabinettsbeschluss, das Gesetz sei ein wichtiger Schritt, um die Situation der Frauen zu verbessern. Die Zahlen zur Gewalt gegen Frauen und Mädchen seien dramatisch, wie das aktuelle Lagebild des Bundeskriminalamts gerade erst gezeigt habe. Zugleich hätten 15.000 Frauen allein im Jahr 2022 von Frauenhäusern abgewiesen werden müssen, weil die Plätze nicht reichen. Gemessen an internationalen Empfehlungen müssten die Kapazitäten eigentlich verdreifacht werden, erklärte Paus. Nicht nur Frauenhäuser haben zu wenige Plätze, auch Beratungsstellen beklagen lange Wartezeiten.
Dem Bundeskriminalamt zufolge nimmt die Gewalt gegen Frauen und Mädchen weiter zu. Im vergangenen Jahr stiegen im Vergleich zu 2022 die registrierten Sexualstraftaten um 6,2 Prozent und Fälle häuslicher Gewalt um 5,6 Prozent. Die Behörden registrierten 938 Tötungsversuche, 360 Frauen wurden umgebracht. Das ist ein Femizid an fast jedem Tag. In Frauenhäusern und Schutzwohnungen suchten rund 14.200 Frauen mit 16.000 Kindern Zuflucht.