Ab einer gewissen Firmengröße müssen die diakonischen Träger Mitarbeitende in die Aufsichtsgremien einziehen lassen - bis 2028. Max Mälzer, Hauptgeschäftsführer des Verbandes diakonischer Dienstgeber, spricht im Interview über die Hintergründe der Reform, bisherige freiwillige Regelungen und warum die Umsetzung der neuen Bestimmungen viel Zeit braucht.
Berlin (epd). Die Konferenz für Diakonie und Entwicklung hat im Oktober die Unternehmensmitbestimmung neu geregelt. Doch wirklich neu ist das Instrument nicht, denn es gab bereits seit Jahren freiwillige Formen der Mitbestimmung. „Fast ein Drittel der diakonischen Träger hat bereits eine Beteiligung der Mitarbeiterschaft an ihren Aufsichtsgremien, Tendenz steigend. Im Vergleich zur säkularen Wirtschaft ist das ein sehr hoher Wert“, sagt Max Mälzer. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Herr Mälzer, künftig gibt es statt freiwilliger Mitbestimmung verbindliche Regeln für diakonische Unternehmen. Hat sich das alte Konzept nicht bewährt oder war es ausgereizt?
Max Mälzer: Inhaltlich entspricht die neue, verbindliche Regelung weitestgehend der bisherigen Empfehlung aus dem Jahr 2017. Schon die freiwillige Regelung hat viele diakonische Unternehmen veranlasst, eine Unternehmensmitbestimmung einzuführen. So haben fast ein Drittel der diakonischen Träger bereits eine Beteiligung der Mitarbeiterschaft an ihren Aufsichtsgremien, Tendenz steigend. Im Vergleich zur säkularen Wirtschaft ist das ein sehr hoher Wert, wo nur ein Bruchteil der Unternehmen eine Unternehmensmitbestimmung hat. Vor diesem Hintergrund muss man sagen: Schon der bisherige Ansatz hat sich bewährt und eine verbindliche Regelung war aus Sicht unseres Verbandes nicht zwingend notwendig.
epd: Wo liegt der Unterschied zwischen Diakonie und anderen Unternehmen bei der Mitbestimmung?
Mälzer: Die Ausgangslage bei diakonischen Unternehmen ist eine andere als in der Privatwirtschaft. Die gesetzliche Mitbestimmung in Deutschland antwortet auf den potenziellen Grundkonflikt von Kapital und Arbeit, den es aber in der Diakonie nicht gibt und noch nie gab. Denn der Abfluss von Kapitalgewinnen zugunsten von Anteilseignern ist in der Gemeinnützigkeit ausgeschlossen. Die Erträge, wenn es denn welche gibt, bleiben im Unternehmen.
epd: Haben Sie Zahlen, wie viele Träger in der Vergangenheit bereits erfolgreich auf die Unternehmensmitbestimmung setzen?
Mälzer: Nach unseren Erhebungen hatten 2023 bereits 28 Prozent der Unternehmen die freiwillige Unternehmensmitbestimmung umgesetzt, weitere 16 Prozent hatten das vor oder prüften die Anwendung.
epd: Und wie läuft das an der Basis?
Mälzer: Viele Mitglieder berichten, dass die Unternehmensmitbestimmung gut funktioniert. Manchmal werden jedoch auch Konflikte von der Betriebsebene auf die Unternehmensebene transportiert, wo sie nicht hingehören. Im Aufsichtsorgan geht es ja um die strategische Unternehmensausrichtung sowie die Beratung und Kontrolle der Unternehmensführung. Für eine Beachtung der Interessen der Mitarbeitenden im betrieblichen Alltag sind demgegenüber die vor Ort gewählten Mitarbeitervertretungen zuständig. Diese arbeiten mit den Dienststellenleitungen im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung partnerschaftlich und vertrauensvoll an passenden Lösungen.
epd: Die Vorgabe lautet, dass nur diakonische Unternehmen ab einer Größe von 500 Mitarbeitenden einen Sitz im Aufsichtsrat für einen Beschäftigten schaffen müssen. Warum diese Mindestgröße? Bleibt da nicht die überwiegende Zahl der Träger auch weiter außen vor?
Mälzer: Mit Blick auf die Unternehmensmitbestimmung wurde von deren Befürwortern immer auch der Gleichklang zum staatlichen Recht als Argument hervorgebracht. Der Schwellenwert von 500 Mitarbeitenden stammt deshalb auch aus dem Drittelbeteiligungsgesetz von 2004. Damit wurde der im säkularen Recht niedrigste Grenzwert aufgegriffen. Zudem gibt es verhältnismäßig wenige diakonische Unternehmen, die unter 500 Mitarbeitende haben - zumal bei Unternehmensverbünden deren Zahl zusammengerechnet wird, wenn es auf oberster Ebene ein Aufsichtsorgan gibt.
epd: Viele kleine Unternehmen, etwa einzelne Pflegeheime oder Anbieter in der Behindertenhilfe, haben keine Aufsichtsgremien. Doch dieses Problem, wenn man es denn als ein solches betrachtet, geht die neue Regelung zur Unternehmensmitbestimmung ja nicht offensiv an.
Mälzer: Auch das säkulare Recht sieht Schwellenwerte für die Unternehmensmitbestimmung vor. Der staatliche Gesetzgeber geht also nicht davon aus, dass alle Unternehmen ein mitbestimmtes Aufsichtsgremium haben müssen. Es gibt keine überzeugende Begründung, warum das im kirchlichen Bereich anders sein sollte.
epd: Warum gelten diese Neuerungen der Mitbestimmung nur, wenn ein Aufsichtsrat bereits besteht? Demnach können auch große Unternehmen, die kein Aufsichtsgremium haben, alles beim Alten belassen.
Mälzer: Das ist formal korrekt, obwohl quasi alle größeren Unternehmen ein dezidiertes Aufsichtsorgan haben, wenn auch eventuell fakultativ. Insofern handelt es sich um eine sehr theoretische Fragestellung. Gesellschaftsformen ohne dezidiertes Aufsichtsorgan, insbesondere e.V. und GmbH, können freiwillig Aufsichtsorgane einrichten. Diese gesetzliche Entscheidung einer Freiwilligkeit ist richtigerweise zu beachten. Die kirchlich-gesetzgeberische Entscheidung, dass in diesen Rechtsformen kein Aufsichtsgremium gebildet werden muss, wenn keines vorhanden ist, ist deshalb auch folgerichtig. Warum sollte das kirchliche Recht weitergehen als das staatliche Recht? Wenn man dazu noch bedenkt, dass die für das staatliche Mitbestimmungsrecht zugrundeliegenden Argumentation, nämlich der Notwendigkeit eines Ausgleichs des Grundkonflikts von Kapital und Arbeit, sich nicht auf die Gemeinnützigkeit übertragen lässt, besteht kein Grund, Aufsichtsorgane zu erzwingen.
epd: Die Umsetzungsfrist läuft bis 2028, ein langer Zeitraum. Warum geht das nicht schneller
Mälzer: Der lange Zeithorizont wird benötigt, weil bei fast allen Unternehmen Änderungen von Satzungen notwendig sind. Immerhin muss die Neuaufnahme von Mitgliedern rechtlich verankert werden. Erst dann kann der/die Vertreter/in in das Aufsichtsorgan entsandt werden. Stiftungssatzungen können nur geändert werden, wenn es dem potenziellen Willen des Stifters entspricht und es bedarf dazu noch der Zustimmung durch die Stiftungsaufsicht. Darüber hinaus bestehen bei der Neubesetzung von Aufsichtsorganen in Stiftungen und gemeinnützigen Aktiengesellschaften aufgrund kirchenrechtlicher - nicht staatlicher - Vorgaben immense Rechtsunsicherheiten, deren Klärung ebenfalls eine erhebliche Zeit in Anspruch nehmen wird. Hier muss zwingend Rechtssicherheit herrschen, damit nicht von den Aufsichtsorganen getroffene Beschlüsse aufgrund von Fehlbesetzungen unwirksam sind. Der kirchliche Gesetzgeber hat sich hier - trotz aller Warnungen im Gesetzgebungsprozess - auf absolutes Neuland gewagt. Insofern ist die Umsetzungsfrist bis 2028 noch eher knapp bemessen.